Gewaltige Stille

Thea Mengeler hat im Göttinger Wallstein Verlag ihren zweiten Roman Nach den Fähren veröffentlicht. Martin Spieß hat ihn gelesen und ist begeistert.

Was, wenn auf einer Urlaubsinsel die Gäste ausbleiben? Wenn den Einheimischen plötzlich das Tagwerk wegbricht oder sie es nur stumpf ausführen – die Zimmer in Schuss halten, Staub wischen –, bis die Gäste wiederkommen. Falls sie wiederkommen. „‚Vielleicht morgen‘, sagt der Hafenwärter. ‚Vielleicht kommen die Fähren morgen wieder.‘“

Aber so richtig daran glauben, das tut keine*r auf der namenlosen Insel, auf die Thea Mengeler die Protagonist*innen ihres zweiten Romans Nach den Fähren platziert hat. Man ist zeitweise sogar versucht zu sagen, Mengeler hätte sie „zurückgelassen“ oder „eingesperrt“, aber das mutet dann doch zu apokalyptisch an.

Trotz Düsternis nicht düster

Denn trotz der Tristesse, die hier und da aufscheint, trotz der Stasis, in die alles eingefroren ist, ist Nach den Fähren keine apokalyptische, düstere Geschichte, auch wenn sie voller Düsternis ist. Da ist etwa „die Frau des Generals“, die sich in einer lieblosen Ehe eingerichtet hat und nur auf der Insel lebt, weil ihr mittlerweile dementer Ehemann irgendwann einfach entschieden hat, dass eben diese Insel von nun an ihr Lebensmittelpunkt ist. Da ist der Hausmeister des „Sommerpalasts“, der sich des Fatalismus’ seiner Arbeit lange nicht bewusst ist, er sie aber trotzdem ausführt. Vielleicht kommen ja morgen die Fähren wieder. Er und die Bäckerin nähern sich einander an; Beziehungen entstehen, Leben gehen weiter, aber all das geschieht nicht nur wie in Zeitlupe, sondern es geschieht, obwohl eigentlich alle wissen, dass das Leben nach den Gästen Vieles ist, nur irgendwie kein Leben mehr.

Stille ohne Kalkül

Man fragt sich immer wieder, wie Thea Mengeler es hinbekommt, nach ihrem rasanten und energischen Debütroman Connect – bei dem die Heldin in eine Sekte hineingerät – jetzt ein so stilles, unaufgeregtes zweites Buch vorzulegen, ohne dass es auch nur im Mindesten anmutet wie Kalkül, ohne dass es aufgesetzt wirkt oder wie gewollt und nicht gekonnt. Mengeler kann, und wie. Sie spielt hier keinen anderen Stil, der eigentlich nicht ihrer ist, sie meistert ihn. So banal es klingen mag: Sie kann einfach schreiben. Und Nach den Fähren ist trotz (oder gerade wegen) seiner Stille ungeheuer gewaltig. Es passiert wenig, und doch so viel.

Musiker*innen und Bands haben manchmal Angst vor dem zweiten Album. Falls das auch für Autor*innen gilt, so kann Thea Mengeler sich zurücklehnen und die Angst Angst sein lassen. Denn ihr zweiter Roman ist einfach ganz und gar großartig.

Thea Mengeler: Nach den Fähren
Wallstein Verlag, 2024
175 Seiten, 20 Euro

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