Stella: Liebe in einer entsetzlichen Zeit

Die Kritik an Takis Würgers zweiten Roman Stella wuchs sich zur Debatte aus, die heftige Kritik aber ist vollkommen ungerechtfertigt. Eine Rezension von Martin Spieß.

Takis Würger möchte man dieser Tage nicht sein. Sein zweiter Roman Stella wurde von der Kritik so gnadenlos verrissen, dass man den Impuls verspürt, den Autor in den Arm zu nehmen und ihm ein Bier zu spendieren. Denn: all die Kritik am Roman ist ungerechtfertigt. Würger hat mit seiner unaufdringlichen Geschichte über Liebe, Verrat und Schuld ein großartiges Buch geschrieben.

Stella heißt nach seiner weiblichen Hauptfigur, der historischen Figur Stella Goldschlag, einer Jüdin, die als „Greiferin“ versteckte Juden bei der Gestapo denunzierte, um ihre Eltern und sich selbst zu retten. Erzählt wird das Buch aus der Perspektive des jungen Schweizers Friedrich, der im Januar 1942 mit dem recht naiven Vorhaben nach Berlin kommt, herauszufinden, wie es sich anfühle in diesem Land im Krieg, und ob die Gerüchte über die Deportation von Juden stimmen.
Er verliebt sich in die junge Kristin, die sich als Stella herausstellt, als sie und ihre Eltern verhaftet werden, und sie zur Kollaboration gezwungen wird.
Bis dahin bewegt Friedrich sich zwar skeptisch, aber doch recht unbeschwert durchs Berlin des Jahres 1942, geht in illegale Tanzklubs, wo er Tristan von Appen kennen lernt, der heimlich Jazz hört, geschmuggelten Käse isst und sich später als SS-Mann herausstellt. Friedrich lebt im Grand Hotel und genießt den Luxus inmitten all des Mangels, spürt Beklemmung, wenn zur Begrüßung rechte Arme erhoben werden.
Und auch nachdem Stella bereits für die Gestapo arbeitet, verbringen die beiden weiter eine halbwegs unbeschwerte Zeit, selbst als Friedrich begreift, was sie tut, um ihre Eltern aus der Haft zu befreien. Ihre Eltern sterben schließlich, Stella aber hört mit ihrer Arbeit als „Greiferin“ nicht auf. Friedrich versteht nicht, warum.

Karge, wundervoll treffende Sprache

Es ist diese Frage nach dem Warum, die den Roman bewegt, ja, die ihn antreibt, die ihn neben der plätschernden Liebesgeschichte durchdringt. Die Frage, die auch den unbedarften Friedrich mehr und mehr umtreibt: Warum tun Menschen anderen Menschen diese entsetzlichen Dinge an? Sie tritt immer dann zutage, ehe sich beim Lesen ein ungutes Gefühl einstellen kann, dass hier an den Schrecken von Judenverfolgung, Holocaust und Krieg vorbei erzählt wird. So naiv der Ich-Erzähler auch ist, im Jahr 1942 nach Berlin zu fahren, so karg und damit ganz wundervoll (zu)treffend die Sprache – nie entsteht der Verdacht, dass Takis Würger sich unmoralisch verhalte oder gar den Holocaust im Dienst einer Lovestory instrumentalisiere, wie es ihm die meisten Kritiker*innen vorwarfen.

Im Gegenteil ist Würger sich der Verantwortung dieses historischen Stoffes sehr wohl bewusst, wenn er Zeugenaussagen aus dem realen Prozess gegen die echte Stella Goldschlag zwischen die Handlung schneidet, der 1946 gegen sie geführt und sie wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Da liest man dann von einer ganz anderen Stella, einer kaltblütigen, berechnenden „Greiferin“, die wegen ihrer Taten den Spitznamen „Das blonde Gift“ abbekam. Kann so jemand lieben?, fragt man sich bei der Lektüre, und die Antwort ist so schmerzhaft wie real: ja.

Nicht alles schwarz oder weiß

Diese Liebesgeschichte nivelliert aber nicht den Terror der Nazis. Und sie entschuldigt auch nicht (historische) Figur der Stella Goldschlag, „der Unfassbares angetan wurde und die dann anderen Menschen Unfassbares angetan hat“, wie es die Jüdische Allgemeine schrieb. Die Liebesgeschichte intensiviert Terror und Unfassbarkeit nur, weil Würger es vermag, zu nuancieren. Es ist nicht alles schwarz und böse, oder weiß und unschuldig.

Takis Würger erzählt die zarte Geschichte einer Liebe in einer Zeit, in der für Liebe eigentlich kein Platz ist, sie sich aber dennoch ihren Raum nimmt. Trotz Schrecken, Verrat und Tod. Stella ist ein großartiges Buch. Und am Ende möchte man dieser Tage eben doch gern Takis Würger sein, hieße es doch, eben dieses großartige Buch geschrieben zu haben.

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