The sun always shines on tv

Im Durchschnitt breit – Der Kinderkanal und seine nachgewiesenen Zuschauer – The Sun Always Shines On TV

Heute erklärt Mathias Mertens gemeinsam mit den Teletubbies die Zuschauerzahlen des Kinderkanals. (16. Dezember 2001)

Mit Statistiken, insbesondere Durchschnittszahlen, ist es ja so eine Sache, wie wir hoffentlich alle wissen. Befinden sich zum Beispiel 99 Psychiater und nur 1 Psychopath in einem Raum, dann sind sie im Durchschnitt alle nicht ganz dicht. Trotzdem operiert man gerne mit solchen Auflistungen, ganz besonders aber Fernsehintendanten, wenn sie ihren Sender gegenüber den Konkurrenten loben wollen oder Absetzungen von Sendungen mit dem Hinweis auf die durchschnittliche Sehbeteiligung der 14-49jährigen begründen müssen. Doch auch da müssen Zweifel angemeldet werden. Der Verfasser dieser Zeilen, zum Beispiel, war seit seinem bewußten Fernsehkonsumeintritt mit ca. 4 Jahren bis heute im Durchschnitt ein 17jähriger Zuschauer. Da ganz klare Nachweise vorliegen, daß besagte Person im Vor- und Grundschulalter regelmäßig die Sesamstraße guckte, fließt in die Zuschauerstatistik dieser Sendung ein, daß 17jährige zu ihren regelmäßigen Zuschauern gehörten, was das Durchschnittsalter ihrer Zuschauer nach oben ziehen dürfte. Gleichzeitig fliegt unser durchschnittlicher Zuschauer natürlich regelmäßig ab 22 Uhr aus dem Programm, weil die folgenden Sendungen nicht für unter 18jährige geeignet sind, wie freundliche Hinweistafeln vermerken. Kein Wunder, daß die Einschaltquoten im Segment der 14-49jährigen bei vielen Sendern so mäßig sind, denn im Durchschnitt haben 14-49jährige 31,5 Jahre auf dem Buckel, sie sind also seit ihrem Fernseheintritt mit ca. 4 Jahren durchschnittlich 17,5 Jahre alt beim Fernsehen gewesen und somit bei vielen Sendungen außen vor geblieben.

Vor diesem Hintergrund der statistischen Implikationen fällt an einer gerade veröffentlichten Statistik über die jeweiligen Durchschnittsalter der Zuschauer verschiedener deutscher Fernsehsender eines auf. Zuschauer des Kinderkanals sind im Durchschnitt 22 Jahre alt. Das kann zweierlei bedeuten. Entweder die Zuschauer sind tatsächlich alle 22. Mit 22 Jahre befindet man sich in Deutschland im Grundstudium, hat vormittags viel Zeit, um fernzusehen, und nimmt von Hausfrauensendungen über Bundestagsdebatten so ziemlich alles mit, was da rumflimmert. Dabei eben auch die pädagogischen Angebote des Kinderkanals, schließlich will man ja irgendwann sein Vordiplom oder die Zwischenprüfung machen, da kann ein bißchen Bildung nicht schaden. Oder es schaut tatsächlich eine gewisse Menge an Kinder den Kinderkanal. Daraus folgt aber, daß die 5-10jährigen Knirpse durch eine entsprechende Menge an 53jährigen Vorruheständlern ausgeglichen werden muß, um auf ein Durchschnittsalter von 22 zu kommen. Aber was gucken sich Mittfünfziger auf dem Kinderkanal an? Haben sie dasselbe Bildungsbedürfnis wie 22jährige Studenten und hängen an den Lippen von Peter Lustig und Grobi, die ihnen den Winterschlaf von Igeln und den Unterschied zwischen „nah“ und „fern“ erklären? Dafür hatten sie doch ihre Berufsfortbildungen und Bildungsurlaube. Nein, bei einem Blick ins Programm des Kinderkanals wird relativ schnell klar, was sie so zahlreich vor die Glotze zieht. Die Teletubbies.

Für alle, die die Teletubbies noch nicht kennen, sei hier noch einmal beschrieben, was einen in dieser Sendung erwartet. Zuerst geht eine Anne-Geddis-Sonne auf, in der ein Baby wohlwollend auf die Welt hinunterblickt und ständig quiekst. Diese Welt sieht aus wie ein pervertierter Golfplatz, auf den Fabuland-ähnliche Blumenarrangements gesteckt worden sind und über den Karnickel hoppeln. Im Hintergrund ragt bedrohlich ein riesiges, bronzefarbenes Windrad über die gesamte Szenerie. Und dann gibt es schon die erste Aporie. Eine freundliche Hörspielkassettenstimme eröffnet die Erzählung nämlich mit den Einsetzungsworten „Hinter den Hügeln und keinem bekannt / hier liegt das Teletubbie-Land“. Mal abgesehen von der holprigen Grammatik, die sich dem Daktylenzwang unterwerfen muß, der zum Ausdruck lebhafter Gemütsbewegung, Jubel, Unruhe usw. verwendet wird, dann aber kläglich scheitert und in den Trochäen des Teletubbie-Lands versickert, fragt sich der einigermaßen reflektierte Zuschauer doch, wie man etwas präsentiert bekommen kann, das niemand kennt. Aber lassen wir das. Denn in diese Überlegungen fährt ein dauerfurzendes Geräusch, zu dem sich ein Strauß von Duschköpfen aus dem Boden schiebt, ebenfalls bronzen, die sich dann als Lautsprecher entpuppen und den enervierenden Appell ausstoßen „Zeit für Teletubbies! Zeit für Teletubbies! Zeit für Teletubbies! Zeit für Teletubbies!“ Die so evozierten Gestalten erscheinen als eine Art Monchichis, die in verschiedene Plakafarben-Töpfe gefallen sind und sich heidnische Symbole als Antennen auf den Kopf gesteckt haben, ähnlich den Symbolen auf der namenlosen Led Zeppelin-Platte mit unser allem „Stairway to Heaven“. Po, Lala, Dipsy und Tinky-Winky decken die vier Grundfarben Rot, Gelb, Grün und Blau ab und tragen Dreiecke, Striche, Kreise oder Schweineschwänzchen auf dem Kopf, fallen sofort übereinander her und machen „Tubby-Schmusen“, was ihnen ein wiederholtes, seufzendes „Aah!“ entlockt.

Bevor sie ihrem Fortpflanzungstrieb jedoch nachgehen können oder andere Grundbedürfnisse wie Essen stillen können, das bei ihnen als rosa Marshmallowsirup aus einem Hahn in die Schüsseln strömt, werden sie jedoch vom übermächtigen Windrad zu willenlosen Sklaven gemacht. Wenn es sich nämlich dreht, verströmt es fiese Hypnosefunken, die die Tubbies auf den Hügel scheuchen, sie in einen Reihe zwingen und dann über die Antennen in ihre Körper dringen. Mit Entsetzen erkennt der Zuschauer, daß die Tubbies durch Borgs-ähnliche Wesen zu Bionischen Mutanten umgearbeitet wurden und eine Bildröhre in ihrem Bauch tragen. Die Funken sind Wellenpakete, die einen Film auf ihren Bäuchen erzeugen, der dann den Zuschauern zuhause ins Gehirn kriechen soll. Welche Effekte diese Gehirnwäsche hat, kann man schlecht abschätzen, weil das ganze in einem unverständlichen Code verfaßt ist, der mit Bildern von Bobbycar– oder skifahrenden Kleinkindern operiert. An der Gefährlichkeit kann es jedoch keinen Zweifel geben, wenn man sich die mutierten und paralysierten Teletubbies anguckt. Um ganz sicher zu gehen, daß ihre Botschaft vollständig ankommt, lassen die Borgs die Tubbies nach Ende des Films verzückt „Nochmal! Nochmal!“ rufen, woraufhin der Filmbeitrag noch einmal in voller Länge wiederholt wird. Danach rutschen die Tubbies, jeglicher Menschen- bzw. Tubby-Würde beraubt, die Hügel hinunter oder lassen sich durch Röhren in ihre Bunkerbehausung fallen. Jedesmal, wenn sie dabei auf den Hintern fallen, und das tun sie oft, ertönt eine Tröte, so als würden weitere, verniedlichte Darmwinde aus ihnen herausgepreßt. Der Cold Turkey setzt dann ein, wenn die Duschköpfe Orwell-mäßig wieder aus dem Boden auftauchen und befehlen „Zeit für Tuby-Tubby-Winke-Winke! Zeit für Tuby-Tubby-Winke-Winke! Zeit für Tuby-Tubby-Winke-Winke! Zeit für Tuby-Tubby-Winke-Winke!“. Mit einem erschreckten „Oh-Oh!“ wollen sich die Tubbies ihrer Ernüchterung noch entziehen, doch das Diktat ist unerbittlich. Mit einem fröhlichen Winke-Winke beenden die Tubbies ihre evozierte Existenz.

Teletubbies soll Kleinkindfernsehen sein. Tatsächlich? Wir können nicht wissen, wie Kleinkinder Fernsehen machen würden, wenn sie es könnten, aber bei Teletubbies ist einzig und allein das skatologische Leitmotiv Furz ein Element, das man Kleinkindern zutraut. Denn ständig erleben sie Erwachsene, die an ihrem After herumwischen, sich zärtlich über den Gestank auslassen oder später um sie herumstehen, wenn sie auf dem Töpfchen sitzen, und schließlich in frenetischen Jubel ausbrechen, wenn nach drei Stunden Warten zufällig etwas herausplumpst. Aber der Rest der Sendung? Nein, diese Verbindung von Faschismus mit menschlichem Antlitz und Dauerbefriedung körperlicher Bedürfnisse durch Überflutung mit sinnlosen Reizen klingt eher nach einer anderen Generation. Das dürfte eher den Hirnen flashbackgeschüttelter und THC-sedierter Hörer von Led Zeppelins „The Battle of Evermore“, Black Sabbaths „Ironman“, Pink Floyds „Welcome to the Machine“ und vor allem von „Lucy in the Sky with Diamonds“ sowie „Tomorrow never knows“ von den Beatles entsprungen sein. Um mit dieser Kopfgeburt dann auf ihre Brüder und Schwestern im Geist wieder einzuwirken, also ihren WG-Genossen von einst, mit denen sie über die Weltrevolution redeten, dann aber durch fortgesetzte Intoxikation bewußtseinserweiternder Substanzen zu kleinen roten, grünen oder blauen Bärchen wurden, die fröhlich über die Wiese kugelten und „Tubby-Schmusen“ praktizierten. Teletubbies ist eine Remiszenz an diese fröhlichen, spätadoleszenten Lebensabschnitte, ein angenehmer Flashback, in dem man sich wieder jung, kraftstrotzend und weltverbessernd fühlen kann. Eine Art Schwarzer Afghane in Fernsehform. Ein schönes, einlullendes Trösten, daß die Welt doch nicht besser geworden, obwohl sie doch alle Gymnasiallehrer, Staatssekretäre oder BDI-Funktionäre geworden sind. Wenn sie nicht so zugedröhnt gewesen wären, dann würden jetzt überall Duschköpfe aus dem Boden ragen und „Proletarier! Ihr habt nichts zu verlieren außer Eure Ketten!“ in die Hirne trommeln. So wie im Teletubby-Land, aber das ist ja leider keinem bekannt. Also bleibt nichts als träumen und weiterglotzen.

So erklärt sich das Durchschnittsalter der Kinderkanal-Zuschauer. Während die Kleinen so herrlich anarchistische und aufklärerische Sendungen wie die Sesamstraße goutieren und sich weiterbilden, schalten danach die Flower-Power-Veteranen ein, um sich in ihre alten Utopien zu kuscheln. Im Durchschnitt ergibt das dann 22 Jahre. Ganz einfache Rechnung. Hat man das geklärt, stößt man aber sofort auf ein weiteres Rätsel. Der deutsch-französische Kultursender Arte hat nämlich ein Zuschauerdurchschnittsalter von 49 Jahren. Was im Vergleich zu allen anderen Sendern, deren Zuschauer weit in den Fünfzigern weilen, relativ jung ist. Wie kommt denn nun das zustande? Schaut sich der Jugendliche von heute Opernaufführungen, französische Kurzfilme, unlustige Zeichentrickserien und Dokumentarfilme an? Wohl kaum. Also läßt sich auch hier wieder der Durchschnitt durch das Zusammenrechnen zweier Extreme erklären. Während der betagte Bildungsbürger aus Überzeugung den durch seine Gebühren finanzierten Kulturkanal einschaltet, bleiben die Kleinkinder, denen die Eltern vormittags die Teletubbies eingeschaltet haben, einfach auf dem Kanal hängen. Denn Kinderkanal und Arte teilen sich diesen Programmplatz. Irgendwann nachmittags hört das Vergnügen auf und die Kultur fängt an. Die armen Kleinkinder in ihren Gitterbettgefängnissen kommen nicht an die Fernbedienung und müssen nun durch die radikal moderne Inszenierung von Don Carlos. Was aber nicht so schlimm ist, denn das sich Menschen in seltsamen, bunten Räumen bewegen und dabei quieksende und kreischende Töne von sich geben, kennen sie ja aus ihren Krabbelgruppen.

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens