The sun always shines on tv

The Sun always shines on TV: Die nicht ganz so geheimen Verführer – Die Tagesschau spielt Truman-Show

In seiner Fernsehkolumne spricht Mathias Mertens über subliminale Kauft mehr Cola Botschaften im Fernsehen. # 31 (24. Juni 2001)

Was waren das für Zeiten, als man Menschen noch mit ganz einfachen Tricks verführen konnte. Einfach „Decide to smoke Marihuana“ mehrmals hintereinander rhythmisch singen, rückwärts laufen lassen und schon hatte die Gruppe Queen sowohl Werbung für den Genuß einer Einstiegsdroge produziert als auch einen Welthit namens Another one bites the dust geschrieben. Entsprechende Praktiken in Liedern von Led Zeppelin und Van Halen sind bezeugt, allerdings soll es dabei um Mitgliederwerbung für den Robinson Club des Teufels gehen. Genauso subliminal, also richtig gefährlich, weil unterhalb der Bewußtseinsschwelle wirkend, war der Versuch von Getränke-, Zigaretten-, Alkoholika-Fabrikanten, die Konsumenten durch kurz eingeblendete Werbebotschaften psychisch abhängig von ihren Produkten zu machen. Alle paar Sekunden wurde von den 24 Filmbildern eines durch ein Photo des Produkts ersetzt, so daß die Zuschauer plötzlich einen tierischen Japp auf Zigaretten kriegten, selbst wenn sie eigentlich Nichtraucher waren. Die Menschen wurden zu willenlosen, ferngesteuerten Automaten, die Marihuana rauchten, sich an Satanskulten beteiligten und Unmengen von brauner Brause in sich hineinkippten. Es ist Untergrundkämpfern wie Vance Packard zu verdanken, daß die Menscheit zumindest größtenteils vor der Versklavung gerettet werden konnte.

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Undenkbar, daß in der Tagesschau versteckte Bilder ihre subliminalen Botschaften freisetzen könnten. Da schaffen es noch nicht einmal offen gezeigte Bilder irgendwelche Botschaften zu übermitteln. Bilder in der Tagesschau sind immer da, immer zu sehen, sie sind links oben neben der Sprecherin oder dem Sprecher positioniert, haben eine sachliche Überschrift und bestenfalls illustrierende Wirkung. Geht es um die Bundespolitik, dann sieht man den Reichstag, geht es um Rentenpolitik, dann sieht man Rentner auf einer Parkbank, geht es um Zuwanderungspolitik, dann sieht man Frauen mit Kopftüchern. Alles völlig neutral und ohne jeden versteckten Kommentar. Die Sendung vom 19. Juni machte da keine Ausnahme. Es ging um die Koalitionsgespräche zwischen CDU und Grünen in Frankfurt, die offensichtlich auf gutem Weg waren (in derselben Nacht sollten sie dann doch scheitern, aber das kam sehr überraschend). Es ging um Politik und Frankfurt, also mußte man ein Bild vom Römer nehmen. Der Unterschied zum Reichstag ist, daß man bei einem Berlin-Thema, das nicht direkt mit Politik zu tun hat, auf das Brandenburger Tor als Bild ausweicht. Geht es um irgendein Frankfurt-Thema, dann muß wieder der Römer ran, weil die Republik kein anderes Bild aus Frankfurt wiedererkennt. Auf dem Römerbalkon standen Andy Brehme, Lothar Matthäus, Pierre Littbarski und die anderen, als sie den Weltmeisterschaftspokal nach Deutschland brachten. In Frankfurt waren sie, weil es dort einen Flughafen gibt. Um sich feiern zu lassen, mußten sie auf den Römer, einen anderen Ort gibt es nicht. Auch nicht für einen Tagesschau-Bericht über Frankfurt.

So pauschal dieses Bild vom Römer in dieser Sendung auch war, bei näherem Hinsehen stellte sich ein leichtes Unbehagen ein. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendein Parameter war verändert, so daß sich eine leicht surreale Verwirrung einstellte. Ungefähr so wie bei einem Bild von Magritte, wo man ein Haus in tiefster Nacht sieht, über dem sich allerdings ein strahlend blauer Sonnenhimmel wölbt. Genau so verhielt es sich mit diesem Römer-Bild, beziehungsweise genau umgekehrt. Der Römer stand dort in voller sonnenbeschienener Pracht, die Fensterscheiben blitzten, die Fassadenverzierungen warfen kleine Schatten, das Kopfsteinpflaster lag trocken und blank vor dem Gebäude. Darüber allerdings hatten sich dunkle Wolken zusammengezogen, eine Gewitterfront stand kurz vor dem Ausbruch, kein Loch in den Wolkenbergen, durch das sich die Sonne hätte kämpfen können. Die beiden Hälften des Bildes paßten nicht zueinander. Die jahrelange ideologiekritische Schule, die wir durchlaufen haben, ließ nur einen Schluß zu: Mit dieser computergraphischen Photomontage sollte neben dem neutralen Nachrichtentext ein subtiler Kommentar zum Geschehen in Frankfurt gemacht werden. Dunkle Wolken brauen sich zusammen über der Bankenmetropole, die Konservativen verschleudern gerade die Stadt an die Alternativen, die sich trotz ihrer moralischen Sonntagsreden jetzt mit ein bißchen Geld einkaufen lassen. Es braucht kein 24. Bild, um uns zu manipulieren, ein unauffälliger Akzent in unserem Blickfeld reicht aus, um uns nachhaltig zu beeinflussen.

So recht glauben konnte man diese Erklärung aber nicht. Diese Manipulation war so subtil, daß sie nur gelangweilten Kolumnenschreibern auffallen konnte. Ein bessere Erklärung könnte sein, daß sie gar nicht manipulieren sollte. Das Ziel der Bildbearbeitung war die völlige Unauffälligkeit des Bildes. Denn an diesem Tag war der Himmel über Frankfurt zugezogen. Nicht nur dort, sondern in weiten Teilen des Bundesgebiets. Der dunkle Himmel auf dem Römer-Bild entsprach also den momentanen äußeren Umständen. Auffällig wäre ein Sonnenhimmel gewesen. Dann hätte jeder Zuschauer gesagt: Guck mal, da hat mal die Sonne geschienen und wir müssen uns schon wieder mit so einem Scheiß-Sommer plagen. Der Meldung hätte er schon nicht mehr zugehört. Durch die Bildbearbeitung wurde das vermieden. Daß dabei der Römer immer noch im Sonnenlicht stand, mußte man in Kauf nehmen, weil ein verdunkeltes Rathaus, womöglich noch im Regenschauer, kaum noch identifizierbar gewesen wäre. Die Realität muß eben an verschiedensten Stellen vereinfacht, aufpoliert, hingebogen werden, um von den Rezipienten als real empfunden zu werden.

Vielleicht ist das, was die Tagesschau mit dem Römer-Bild versucht hat, ein Vorgeschmack auf die Zukunft. Wenn es denn irgendwann mal so sein sollte, daß wir alle an ein digitales Fernsehnetz angeschlossen sind, dann wird sich dieses Digitale nicht an solchen Spielereien wie acht frei wählbaren Kameraperspektiven oder Zusammenschaltung zweier Sendungen zeigen, sondern eher an einer personalisierten Oberfläche, die sich meinen persönlichen Rahmenbedingungen und Vorlieben anpaßt. In einem digitalen Medium wie dem Internet kann man das heute schon erleben. Steuert man zum Beispiel öfter die Seite des Buchversandes Amazon an, dann wird man auf der ersten Seite mit Namen begrüßt. Darunter findet man Buchempfehlungen des Tages, die aussehen, als wären sie für die Allgemeinheit konzipiert, die aber tatsächlich aufgrund der vergangenen Suchbewegungen und Kaufaktionen bei Amazon für mich speziell zusammengestellt worden sind. Jeder meiner Schritte führt dazu, daß sich ein immer spezielleres Profil für meine Person ergibt, auf das sich die Oberfläche von Amazon einstellt. Die Tagesschau wartet in zehn Jahren vielleicht mit einem unauffälligen Prozentsatz von Meldungen aus meiner Region auf, berichtet häufiger über Rockkonzerte und weniger über Verkehrsunfälle. Alles da, weil ich bei Autobahnunfällen oft zum ZDF gezappt habe oder mir regelmäßig die Reruns vom Rockpalast nachts angeguckt habe. Und natürlich wird es auf allen Bildern regnen, wenn es bei mir vorm Fenster regnet, es sei denn, ich zappe dann immer weg.

Empfindliche Seelen haben jetzt Horrorszenarien im Kopf. Der Nachrichtensprecher wird sich direkt an uns wenden und uns Anweisungen für unser Verhalten geben, so wie man es in The Game mit Michael Douglas sehen konnte. Alle unsere Handlungen werden überwacht sein, jede Person, mit der wir es im Laden oder in der Behörde zu tun haben, weiß über uns Bescheid und hat vorab Instruktionen erhalten. Vielleicht wird es aber auch sein wie in der Truman-Show, daß ein allwissender Regiegott über uns schwebt und unseren Tagesablauf als ein Gesamtkunstwerk begreift, an dem bis zur Perfektion gefeilt wird. Die Steigerung zu Peter Weirs Film wird sein, daß wir in unserer Truman-Show die Shows der anderen im Fernsehen sehen können, um uns die zusätzlich Sicherheit zu geben, daß wir uns im echten Leben befinden, weil es ja das künstliche im Apparat gibt. Daß wir alle kurzgeschlossen sind, würde uns nicht in den Sinn kommen.

Doch allen Dystopisten zum Trotz, so wird es wirklich nicht sein. Auch bei Amazon steuert niemand aktiv, sondern es wird nur auf unsere Vorgaben reagiert. Eigentlich ist es Demokratie in höchstem Perfektionsgrad. Eine Demokratie, in der meine Stimme absolut zählt, in der ich immer in der verfassungsändernden Mehrheit bin. Das kann großartig sein, weil ich endlich all die französischen Filme aus den sechziger Jahren um 20:15 sehen kann, endlich alle Vorabendzeichentrickserien aus den Siebzigern wieder erleben darf, endlich keinen Kulturweltspiegel mehr gucken muß. Leider hat Demokratie aber auch einen ganz üblen Effekt. Nämlich den, daß die Freiheit der Wahl dazu genutzt wird, nicht mehr zu wählen. So wie wir das Interesse an der Politik verloren haben und die Nichtwähler zur eigentlich stärksten Fraktion im Bundestag gemacht haben, so werden wir aus Faulheit auch weiter vor der Glotze abhängen und das typische Abhängprogramm dadurch verstärken. Irgendwann wird es dann unausweichlich nur noch Mist geben, weil ich nichts Gutes mehr durch gezielte Wahl verstärken und hochpuschen kann. Um immer die Wahl zu haben, muß ich bei einem Resonanzfernsehen eine sehr bewußte Ökonomie mit dem Angebot betreiben, muß strategisch manche Kanäle und Programme pflegen, darf anderes nicht verkümmern lassen, muß mir diese Kultursendung und den Fernsehfilm anschauen, um später nicht vor einem reinen Buffy-Im Bann der Dämonen-Kanal meine Abende zu fristen. Das digitale Fernsehen kann dazu führen, daß wir viel bewußter fernsehen als vorher. Nicht, weil wir es wollen, sondern weil uns die Verzweiflung dazu treibt.

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