Der Autor Jan Fischer

Interviewreihe “Davon leben” – Interview mit Jan Fischer (Autor)

In unserer Interviewreihe Davon Leben berichtet der Autor und zebrabutter-Mitbegründer Jan Fischer davon wie er freies Schreiben, Festanstellung und künstlerische Freiheit unter einen Hut bekommt.

Kunst machen – klar. Aber davon leben? Für Davon leben trifft Martin Spieß sich mit Künstlerinnen und Künstlern an der Peripherie des ganz großen Erfolgs. Dort, wo es wenig Geld, aber viel Leidenschaft gibt. Heute im Gespräch: Jan Fischer, ein deutscher Autor. Er lebt in Hannover.

Einsatzbereit?

Ah, stimmt, wir waren verabredet. Ja, klar.

Den Satz lass ich gleich im Interview. Schönes Künstlerklischee. Fangen wir mit den Eckdaten an.

Ich wurde am 4. Juni 1983 geboren, in einem Ort bei Bremen namens Achim. Wir haben eigentlich in Bremen gewohnt, meine Eltern sind dann aber für die Geburt nach Achim gefahren. Meine Mutter gehörte damals zu dieser 80er-Jahre-Öko-Szene und die Klinik dort bot die natürliche Geburt an – irgendwas in der Art. Auf jeden Fall mit weniger Schmerzmitteln. Mein Stiefvater hat in Hamburg bei Airbus gearbeitet, und hatte, als ich neun oder zehn Jahre alt war, die Möglichkeit, sich in das Airbus-Werk in Toulouse versetzen zu lassen. Es gab wohl mehr Geld, gut für die Karriere war es auch.

Und dann warst du in Frankreich, bis du zum Studium in Hildesheim – Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus – wieder nach Deutschland kamst?

Ja, ich habe 2002 auf der Deutschen Schule in Toulouse Abitur gemacht und wusste nach dem Abitur nicht so genau, was ich machen sollte. Also bin ich ein paar Monate in Disneyland Paris gewesen, als Souvenirverkäufer. Und dann wieder zurück nach Toulouse, so lange, bis ich es geschafft hatte, mich für ein paar Studienplätze zu bewerben – alles hatte irgendwie mit Journalismus und Schreiben zu tun, ich glaube, ich war auch für ein Germanistik-Studium in Dresden angenommen worden.

Disneyland?

Ja, im Adventureland gibt es die Indiana-Jones-Holz-Achterbahn, die übrigens ziemlich cool ist, weil sie rückwärts fährt, und dazu gehört ein kleiner Kiosk. Da war ich meistens.

Die „paar Monate“ waren dann postschulisches Geldverdienen, nehme ich an.

Es ging nicht nur ums Geld, das war eh nicht so üppig, aber immerhin Vollzeit bei Mindestlohn. Es ging aber hauptsächlich darum, nach dem Abitur nicht sinnlos rumzuhängen, ich hatte keine Lust, direkt zu studieren und sowieso sämtliche Bewerbungsfristen verpasst. Es ging auch darum, von zu Hause wegzukommen und das irgendwie unabhängig hinzubekommen. Außerdem ging es darum, zu feiern, nach der Arbeit Achterbahn zu fahren und generell so verantwortungslos wie möglich zu sein und dafür bezahlt zu werden.

Wann kristallisierte sich denn der Wunsch heraus, zu schreiben? Schon in der Schule? Oder erst in Disneyland?

Puh, schwierig. Ich hatte in den freien Erörterungen und „kreativen“ Aufgaben im Deutschunterricht schon immer gerne meine Lehrer mit, sagen wir mal, eher ungewöhnlichem Stil und eigenartiger Lyrik oder Kurzgeschichten genervt – je nach Aufgabe. Ich habe auch mal in einer Geschichtsarbeit Punktabzug für Ironie bekommen. Außerdem, da muss ich etwa 16 Jahre alt gewesen sein, habe ich angefangen, Lyrik und Horror-Kurzgeschichten im Stil von Stephen King zu schreiben, die auf Iron-Maiden-Songs basierten. In Disneyland hatte ich mehr Zeit dafür – nicht, dass etwas Gutes dabei herausgekommen wäre, aber ich habe immer ein Notizbuch mit mir herumgeschleppt, und ich glaube, in den drei, vier Monaten dort mindestens zwei davon vollgeschrieben. Hauptsächlich Lyrik.

Punktabzug für Ironie in einer Geschichtsarbeit?

Weimarer Republik. Es ging darum, zu erklären, wie die in Richtung Drittes Reich driften konnte. Ich fand die ganzen Reaktionen der Diplomatie und der Menschen sehr offensichtlich blödsinnig – ich habe zwar die Fragen beantwortet, aber immer noch ein paar ätzende Adjektive eingestreut. Fand der Lehrer nicht so gut – ich fand’s lustig. Das war aber auch ein ziemlich robuster Humor, wenn ich mir das jetzt so im Nachhinein überlege. Der Punkt ist: Ich mochte es, mit Sprache rumzuspielen und zu gucken, was dann passiert.

Daher auch dein anfängliches Interesse für Lyrik? Als du in Hildesheim anfingst, schriebst du ja nur noch Prosa.

Ja, die Lyrik habe ich relativ schnell aufgegeben – ich verstehe Lyrik bis heute nicht so ganz. Das waren auch, wenn ich heute drüber nachdenke, mehr so etwas wie Notizen, mit denen ich mir eine Bildwelt zusammengebaut habe. Zufällig halt in Versform, weil ich dachte, so macht man das.

Es gab aber auch Prosa, mit der du dich dann in Hildesheim bewerben konntest? Und wenn ja: wann entstand die? Auch in Disneyland?

Ich habe mich mit zwei Texten beworben. Das eine war eine Novelle, die hauptsächlich entstand, als ich bekifft war und sich irgendwo zwischen Alice im Wunderland und frühpostmoderner Metaprosa durchwurschtelt (die Hauptfigur trifft dann auch irgendwann den Autor), und der andere Text war etwas im Stil von Chuck Palahniuk, in dem es um einen Toaster ging. Ich frage mich immer wieder, warum sie mich mit dem Zeug nicht rausgeworfen haben. Der eine Text ist irgendwann kurz vor dem Abi entstanden. Der andere morgens im Bus zur Arbeit von den Disney-Wohnungen zum Park.

Du hast 2003 in Hildesheim zu studieren angefangen und bist 2010 ohne Abschluss weggegangen. Hatte diese lange Studienzeit irgendeine metaphorische Bedeutung? Du hast auf mich nie so gewirkt, aber war das vielleicht auch die Angst vor dem Ernst des Lebens?

Nein, das war eher eine pragmatische Entscheidung. So lange ich noch eingeschrieben war, konnte ich mir immer noch sagen: Irgendwann mache ich den Abschluss, irgendwann geht es los, dann mache ich was Richtiges. Die Entscheidung, keinen Abschluss zu machen, war dann genauso pragmatisch, ich merkte, dass ich ja eigentlich schon was Richtiges mache. Zu der Zeit habe ich viel freien journalistischen Kram gemacht, gleichzeitig habe ich noch die nachtbar im Theater für Niedersachsen organisiert und nebenbei immer mal eine Kurzgeschichte irgendwo platziert. Das meiste davon bezahlt. Ich dachte: Wenn es so weitergeht, dann geht es ja. Die Entscheidung war dann: Werfe ich der Uni noch mal für die drei Semester, die ich noch brauche, 1500 Euro in den Rachen und habe dann ein Stück Papier, auf dem steht, dass ich machen kann, was ich sowieso schon mache, oder lasse ich das Stück Papier einfach bleiben.

Und das klappte bzw. klappt auch heute noch? Dass du mit dem Schreiben über die Runden kommst? Oder hast du einen Brotjob?

Ja, in der Realität sieht es dann natürlich immer etwas anders aus. Aufträge kommen nicht, werden nicht oder nicht pünktlich bezahlt, alles ist dann irgendwie doch zu knapp, wenn man knapp kalkuliert und nur eine kleine Sache schief geht. Ich war im Sommer und Herbst 2013 dann ein paar Monate Barkeeper – was lustig war, aber auch anstrengend. Mittlerweile bin ich Teilzeit-Texter in einem Online-Shop hier in Hannover, so richtig mit Bürozeiten. Und die andere Hälfte der Zeit mache ich meinen freien Kram. Das Schöne daran ist, dass das feste Gehalt einem die Freiheit gibt, auch mal kostenlos für tolle Sachen zu arbeiten – und ich weiß, dass, wenn es mal wirklich ernst wird, ich auf jeden Fall trotzdem über die Runden komme.

Also ist das Vorhandensein eines Brotjobs eher Erleichterung als Belastung?

Beides, ganz klar. Natürlich hätte ich gerne mehr Zeit, um meine Sachen zu machen – andererseits wäre ich, wenn ich nur journalistisch arbeiten würde, auch dazu gezwungen, Sachen zu machen, auf die ich keine Lust habe. Den Luxus, sich seine Themen aussuchen zu können, haben nur Leute, die in einer ganz, ganz anderen Liga spielen.

Sind diese unterschiedlichen Ligen etwas, über das du dir Gedanken machst? Oder schreibst du einfach – eben weil du es als deine Berufung empfindest, egal ob das große Geld, der Bestsellererfolg oder der fame kommen?

Mehr Geld wäre schön, obwohl es gerade auch ganz gut klappt. Was fame und den Bestseller angeht: Ich bin mir nicht sicher, ob das so attraktiv ist, wie es klingt. Bestseller heißt ja immer auch eine Verpflichtung gegenüber dem Mainstream. Wenn ich mir die Bestsellerlisten oder die Bücher in den Bahnhofsbuchhandlungen anschaue, bin ich eigentlich immer ganz froh, keines davon geschrieben zu haben.

Ich meine das natürlich schon so, dass du mit dem, was du machst, erfolgreich wärst. Eine Anpassung an den Markt würde ja das Ende dessen bedeuten, was man so gern tut.

Eben. Und an den Markt muss man sich – es sei denn, man hat wahnsinniges Glück – immer irgendwie anpassen.

Also kommst du gut damit zurecht, den Status Quo zu ertragen? Also dass eben nur die Bücher auf den Bestsellerlisten und in den Bahnhofsbuchhandlungen landen, die dem Markt gehorchen?

Ich komme damit gut zurecht – was die Menschen kaufen, ist ihre Sache. Was die PR-Maschinen der Verlage zum Besteller hochjubeln ist ja auch immer auf Sicherheit, auf Verkäuflichkeit gebaut. Aber nicht ausschließlich das, was verlegt wird. Es gibt immer und überall neue Bücher, die ich interessant genug finde, um sie zu kaufen. Autoren, die auch ohne die Bestsellerliste ganz gut leben. Und ich möchte auch den Markt nicht verteufeln, es gibt auch Mittelwege, kleine Bestseller, Nischen, in denen es ganz gemütlich ist. Es ist ja auch ein wenig arrogant, aus meiner Position das kritisieren zu wollen, was die Menschen kaufen und mögen, nur, weil sie es kaufen und mögen. Ich glaube nur, man könnte ihnen mehr zumuten.

In eine solche eben erwähnte Nische versuchst du hineinzukommen, um es dir dort gemütlich zu machen?

Gemütlich vielleicht nicht, aber meine eigene, kleine Nische wäre schon was.

Und dass die sich bisher nicht aufgetan hat erträgst du genügsam?

Genügsamkeit ist gut. Ich glaube auch nicht, dass die Nischen sich einfach auftun – ich suche und versuche, ich schreibe Mails und Texte, ich versuche, so viel wie möglich unterzubringen, egal, welche Textart es ist. Ich nenne das das „Schrotflinten-Prinzip des Veröffentlichens“. Möglichst weit streuend ballern.

Und irgendwas trifft man dann schon?

Genau.

Gibt es Momente, in denen du zweifelst? Schwindet dir mal die Motivation oder, um bei deinem eigenen Bild zu bleiben, die Munition? Denkst du manchmal auch: „Wozu mache ich den ganzen Scheiß eigentlich? Ich treffe ja eh nichts.“

Ja, natürlich schwindet die Motivation. Es ist ja auch nicht unbedingt Spaß, einen Text zu schreiben – vor allem Prosa geht mir nicht so leicht von der Hand. Und wenn es dann nicht untergebracht wird, ist das frustrierend. Ich habe diesen Roman liegen, der überall ganz gut ankam, wo meine Agentin ihn angeboten hat. Ich habe großes Lob für den Stil bekommen. Aber es wurde immer gesagt: „Klappt bei uns nicht, und wenn, wäre es zuviel Arbeit, um den veröffentlichungsreif zu machen.“ Das ist dann nicht so schön. Ich habe noch zusätzlich das Problem, dass ich bei fertigen, veröffentlichten und auch gelobten Texten immer genau weiß, dass sie eigentlich hätten besser sein können. Und ich immer genau sehe, wo die Fehler sind, die ich nicht geschafft habe zu beheben. Andererseits – und dafür habe ich lange gebraucht – gibt es ja immer eine Differenz zwischen dem, wie es sein sollte und dem, wie es dann wird. Und einen fertigen Text zu sehen und in den Händen zu halten ist auch eine wirklich schöne Sache. Man braucht ja sowieso schon ein eigenartiges Ego, um überhaupt mal anzufangen und der Meinung zu sein, dass sei jetzt etwas, was Leute lesen wollen.

Inwiefern eigenartig? Das klingt für mich so, als wertschätzest du deine Arbeit nicht.

Eigenartig, weil man sich die Frage, ob das jetzt wirklich gebraucht wird, entweder gar nicht stellt oder mit „ja“ beantwortet, sonst müsste man ja gar nicht anfangen. Und doch, ich mag meine Sachen, meistens dann eher so ein bis zwei Jahre später. Aber meistens weiß ich genau, dass sie hätten besser sein können. Ich wertschätze es schon, ich weiß ja, wie viel Arbeit es war. Ich bin nur meistens unzufrieden.

Woher kommt diese Unzufriedenheit?

Die ist, glaube ich, ganz normal, wenn du versuchst, etwas, das nur in deinem Kopf existiert, auf ein Blatt Papier zu bekommen. Da muss es ja Reibungsverluste geben.

Weil du der platonschen Idee deines Textes nicht gerecht wirst? Ja, das kenne ich. Aber ich bin dann nicht unzufrieden. Für mich gibt es immer nur Elemente, bestimmte Szenerien oder Beschreibungen, die ich nicht so hinbekomme, wie ich es gerne hätte. Am Ende bin ich mit dem Gesamttext aber zufrieden, sonst würde ich ihn nicht zur Veröffentlichung weggeben.

Ja, natürlich. Aber zufrieden und begeistert sind ja zwei verschiedene Sachen. Ich weiß ja auch genau, dass diese Idee eines Textes eigentlich Quatsch ist, oder besser gesagt: Keinen Wert hat, so lange ich sie nicht umsetze. Trotzdem ist es gemein zu wissen, dass es auch schon mal besser war, und man es einfach nicht transportiert bekommt.

Ich bin durchaus auch mal begeistert von meiner Arbeit. Das macht es ja so schwer, dann die Ablehnung zu ertragen: man selbst findet es gut, die Agentur findet es gut – aber die Verlage winken ab. Du aber machst trotz allem ja weiter. Du schreibst. Wenn dir die Motivation mal schwindet – wie bekommst du sie zurück?

Du hast es gerade selbst schon gesagt: Ich mache weiter. Ganz einfach. Irgendwann kommt eine tolle Passage, ein toller Satz und dann geht es wieder.

So einfach? Dir geht nie die Munition aus?

Irgendwas braut bei mir immer rum – irgendwas geht immer. Ist tatsächlich so. Ich setze mich jeden Tag an mindestens einen Text.

Um es mit Nicolas Cage in „The Rock“ zu sagen: „Keine Panik, am liebsten arbeite ich unter Druck.“

Oh ja, Deadlines sind sehr inspirierend.

Und die Flinte stets geladen.

Richtig. Man weiß ja nicht, wann einem was zum Abschuss davor läuft.

 

Hinweis: Jan Fischer ist Autor und Mitgründer von Zebrabutter.

Bildquellen

  • 324406_2146205287812_461851947_o: Privat