Mit Verve und Wut gegen den Kapitalismus

Der Satiriker Jean-Philippe Kindler hat das kapitalismuskritische Buch Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf veröffentlicht. Martin Spieß hat es gelesen.

Gerade letzte Woche erst war im ZDF Magazin Royale Günter Wallraff, der Investigativ-Titan schlechthin, zu Gast. Und natürlich ging es auch um sein Buch Ganz unten, für das er als türkischer Hilfsarbeiter Ali verkleidet bei McDonald’s, auf Baustellen und für Thyssen arbeitete. Er berichtete von Ausbeutung, von Rassismus, von Marginalisierung.

Das war 1983.

Jetzt, 50 Jahre später, hat sich, was den Kapitalismus, nicht viel zum Positiven gewandelt. Eher im Gegenteil: Die Agenda 2010 hat einen Niedriglohnsektor geschaffen, der es Unternehmen ermöglicht, Arbeiter*innen noch umfassender auszubeuten, und die Schere zwischen Arm und Reich geht – auch wenn das kaum vorstellbar ist – immer weiter auseinander.

Jetzt hat sich der Satiriker Jean-Philippe Kindler, der das bisher auf Bühnen getan hat, dieses Thema in Buchform vorgenommen: Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf heißt der Band, der im Rowohlt Verlag erschienen ist.

Kämpfen statt Sich-Abfinden

Kindlers These: Der (neoliberale) Kapitalismus hat es erfolgreich geschafft, sich als alternativlos zu etablieren und den Menschen das Gefühl zu geben, sie hätten keine andere Wahl, als sich mit ihm abzufinden. Und wenn man drunter leidet, steuert man am besten mit Achtsamkeit gegen, anstatt das System selbst anzugreifen.

In sechs Kapiteln schreibt Kindler in mitunter sehr griffigen Worten von Armut, vom Glück, der Klimakrise, der Demokratie, dem Linkssein und dem, was er „das gute Leben“ nennt.

Es ist nicht wirklich etwas Neues, was er erzählt, aber gerade das ist – und er wird nicht müde, das zu betonen – das eigentlich Tragische: Dass die Menschen streiken und auf die Straße gehen müssten ob all der Ungerechtigkeit. Dass vor allem die Linke(n) nicht mit aller Entschlossenheit auf den Status quo reagieren, sondern sich eben damit abfinden würden.

Der Neoliberalismus sagt: „Man muss sich nur anstrengen“

Dabei ist Kindler der Meinung, dass eine Alternative zum Kapitalismus denkbar ist, und dass Werkzeuge zur Verfügung stehen, um wirklich Druck auf die Mächtigen auszuüben – wie zum Beispiel Streiks: „Statt davon zu sprechen, dass Urlauber von einem Streik betroffen sind, könnte man auch sagen, dass Urlauber davon betroffen sind, dass diejenigen, die sie in den Urlaub befördern, nicht ausreichend gut bezahlt werden.“

Der Verweis auf das Individuum sei das eigentliche Problem – denn so können sich Anhänger*innen des neoliberalen Kapitalismus aus der Verantwortung stehlen: Man müsse sich nur anstrengen, dann werde das schon. Der Markt würde das regeln.

Dass dem nicht so ist und dass es Alternativen gibt, all das führt Kindler mit Verve und manchmal auch mit (nötiger!) Wut aus. Am Ende ist man genauso überrascht wie enttäuscht, wie schnell die Lektüre vorüber ist. Ein starkes und (gerade jetzt) ungemein wichtiges Buch.