Ronja von Rönne: Wir kommen – „Die sind alle lebendig und man fragt sich, wozu“

Wir kommen ist der Debütroman von Ronja von Rönne. Und hoffentlich sehen die Tagebücher unserer Generation anders aus.

„Aufregend“ denke ich, „Ronja von Rönne hat ein Buch geschrieben.“  Das finde ich irgendwie bewundernswert, schließlich wirft man meiner Generation immer vor, dass wir nichts zu Ende bringen. Bullshit. Ronja von Rönne ist jetzt zwischen zwei Buchdeckeln und sie ist ja so was wie die Stimme meiner Generation, zumindest habe ich das irgendwo gelesen. Sie ist noch sehr jung, und manchmal glaube ich, dass jeder Mensch, der jung ist und irgendwo irgendwas sagt diesen Titel von irgendwem bekommt. Aber obwohl sie so jung ist und als „rotzig“ gilt, könnte man meinen, dass sie eine Abkürzung zum Establishment genommen hat, ohne den Umweg übers jugendliche Revoluzzer-Dasein, direkt zur Kolumne bei der Welt. Sie ist irgendwie „schwierig“, auch wenn das ein Wort ist, das Menschen immer benutzen, wenn sie nicht so richtig wissen. Schwierig finde ich sie auf jeden Fall, ich, so als junge Feministin. Ich kenne viele andere junge Feministinnen, die sie auch schwierig finden. Die alten Feministinnen, die ich kenne, kennen Ronja von Rönne nicht. Das mit der Stimme unserer Generation hat sie sich bestimmt nicht selbst ausgesucht. Den Feminismus überflüssig zu finden, schon. Ich hab ihr das übel genommen.
Ich will Wir kommen gut finden. Also zünde ich mir eine Zigarette an und schließe meine Zimmertür. Jetzt dröhnt der J-Pop von Sarah eben durch die Wand und durch meine geschlossene Tür, aber immerhin ein bisschen gedämpfter als vorher. Ich lese nicht mehr so oft wie früher. „Das liegt am Internet“, hat mal ein Typ zu mir gesagt, woraufhin ich „Aha“, sagte und ihn davon erzählen ließ, wie heilsam es ist, seinen Facebook-Account zu löschen.
Auf jeden Fall hat Ronja von Rönne so einen Stil, den ich irgendwie kenne, aber nicht nur von ihr, vielleicht der Stil einer Generation die Angst hat vor Punkten und deshalb immer Kommas setzt, als hätten wir Angst vor einem Ende, aber irgendwann kommt es dann doch, gefolgt von einem Satz, der nur ein Wort hat. Oder zwei. Alles ist Ich-zentriert und die Beobachtungen sind immer irgendwelche Stellvertreter für einen tieferen Sinn, den sich aber niemand traut mal mit fester Stimme auszusprechen. Es ist okay, Wörter wie „irgendwie“ zu benutzen, fast so als würde man plaudern, aber dann doch nicht ganz so.

Es fängt an mit einer Todesanzeige, die klingt wie eine Lüge. Außerdem ist die Erzählerin in so einer Hetero-Vierer-Beziehung mit anderen Leuten aus der Großstadt. Ich denke, das kann nur Berlin sein. Vielleicht weil alle Menschen immer nach Berlin gehen, außer die, die auf dem Weg dorthin in Hannover hängen bleiben. Aus der Vierer-Beziehung ist aber niemand tot. Die sind alle lebendig und man fragt sich wozu. Man fragt sich auch, wozu sie zusammen sind, aber vielleicht soll man sich das fragen. Ich lese das Tagebuch der Erzählerin, das ihr nach zwei Sitzungen von einem Therapeuten verordnet wurde. Sie hat nämlich Panikattacken. Ich finde, wenn man schon Panikattacken hat und schreibt, dann könnte man das auch eindrucksvoller tun. Tiefer, oder so. Ja klar, man kann nicht atmen und denkt man stirbt, aber wenn ich das lese fühle ich nichts. Ich würde gerne etwas fühlen, auch wenn das vielleicht zu viel verlangt ist von einem Ich, das offensichtlich selbst nicht fühlen will. Das ist bestimmt Absicht. Aber es stört mich. Maja, das Mädchen aus der Todesanzeige, scheint auf jeden Fall tot zu sein, auch wenn das Ich es sich nicht eingesteht.
Das ganze fühlt sich außerdem an wie Berlin, weil aus allem so eine Arroganz spricht, so eine indifferente Fick-Dich Attitüde, die aber eigentlich immer wieder leise „Fick mich“ sagt, „aber zärtlich“. Die Dorfjugend ist weit weg, und die eigene Geschichte ist in Anekdoten zerhackt, die immer wieder mundgerecht getriggert werden. Zum Beispiel, wie man den Alkoholiker von nebenan ausgenutzt hat. Ich denke an Rainald Grebe, wie er singt „Wir wollten nie wie unsre Eltern werden, und sind es ja auch nicht geworden. Unsere Eltern sind ja älter, und ziemlich provinziell.“ Es klingt, wie eine Zukunftsvision für die Menschen aus dem Roman.

Zwischendrin finde ich das alles ziemlich anstrengend, dann checke ich Facebook. Das Lesen selbst ist nicht das Problem, auch wenn der Typ ohne Facebook-Account das wahrscheinlich anders sieht. Es ist dieses beständige Plaudern, das so oberflächlich klingt, dass man automatisch glaubt, es sei herzzerreißend oder irgendwie tiefgründig. Immer wieder kommen diese langen Aufzählungen, bei denen ich manchmal lachen muss, weil sie bissig sind und ich die Welt darin erkennen kann. Weil es funktioniert, wenn man jemanden so beschreibt: „Die Frau sah so aus wie jemand, der gern brunchen geht und seinen Laptop »Schlepptop« nennt. Ihr Freund stand daneben und sah aus wie jemand, der Wortspiele wie »Schlepptop« lustig findet.“

Ich verstehe das alles. Ich verstehe auch diese seltsamen Generations-Aufzählungen, weil ich eben auch zu denen gehöre, die sich Schnittblumen auf den Tisch stellen, um das Gefühl zu haben, dass das Leben doch noch nicht ganz aus den Fugen geraten ist, während sie nachts um drei vor dem eigenen Gesicht erschrecken, das sich im Laptop-Bildschirm zwischen zwei Folgen House of Cards spiegelt. Diese Aufzählungen gehen so, dass man so Fundamentales mit Banalem mischt, vielleicht kann man anfangen damit, dass man es ja nicht leugnen kann, Tupperdosen im Schrank zu haben, auch wenn man nie die Deckel findet und dass man gerne mal auf einem Hausdach schlafen würde, auch wenn sich das anfühlt wie aus einer Beck’s-Werbung. Dann, worüber man am Tag so nachdenkt: Ob Sarah Milch nachgekauft hat und ob der braune Bio-Zucker wirklich besser schmeckt als der Weiße. Sich vornehmen, das mal auszuprobieren, aber nicht jetzt, denn jetzt muss man erstmal an die Uni denken, die Hausarbeit mit einem obskuren Namen, die man seit Wochen vor sich her schiebt und sich wünschen nach Südamerika zu reisen, bloß mit einem Rucksack. Jack Kerouac lesen. Vielleicht einen Blog schreiben. Ganz unironisch sagen können „Wer leicht reist, reist glücklich“ zu irgendeinem Typen mit Muschelkette, der Pink Moon von Nick Drake auf der Gitarre spielen kann. Glücklich sein, ohne Meta-Ebene, mit dem Muschelkettentypen rummachen und morgens früh alleine den Bus nehmen und sich frei fühlen. Dann feststellen, dass Sarah doch keine Milch gekauft hat. Daran denken, Sarah diesen Text vor Veröffentlichung zu zeigen, denn sie hat weder J-Pop gehört, noch die Milch leer gemacht.

Darum geht es auch nicht. In diesem Artikel erfüllt Sarah eine StellvertreterInnen-Position die ähnlich funktioniert wie ein Horoskop. Die Details sind einfach zu erfinden und so beliebig, dass es leicht fällt sich selbst hineinzulesen. Man könnte dies Wir kommen als Stärke auslegen: Eigentlich scheint es um nichts zu gehen, denn das lyrische Ich verweigert sich jeglicher tieferen Reflexion. Das ist handwerklich gut gemacht, aber scheint auch der Weg des geringsten Widerstandes zu sein. So muss man nicht begründen, wieso dieses dysfunktionale Vierergespann immer noch miteinander rumhängt oder wieso irgendwer irgendwas tut. Es muss keine großen Erzählbögen, Experimente, Zusammenhänge oder Aussagen geben, die angreifbar machen könnten. Das Nebeneinanderstellen von Abziehbildern irgendwelcher Generationstypen suggeriert, dass die Allgemeinheiten etwas mit uns zu tun hätten. Vielleicht ist für manche Menschen das Leben ganz genau so. Vielleicht sehen die Tagebücher unserer Generation wirklich so aus. Ich will das nicht glauben.

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Ronja von Rönne: Wir kommen
Aufbau-Verlag
978-3-351-03632-4
18,95 €

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