Mit Worten das Monster besiegen

Meena Kandasamys im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubender, autobiografischer Roman Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau ist gerade in fantastischer, deutscher Übersetzung bei CulturBooks erschienen. Martin Spieß hat ihn gelesen.

Am Anfang ist noch alles in Ordnung in der Beziehung: er ist politisch engagiert, rhetorisch begabt und die Ich-Erzählerin ist fasziniert von ihm. Endlich ein Mann, für den sie – in der patriarchalen indischen Gesellschaft – eine Gleichberechtigte ist. Doch kaum haben die beiden geheiratet, verwandelt er sich einen herrschsüchtigen Tyrann: Er kontrolliert ihre E-Mails, ihr Handy, verlangt, dass sie sich von Facebook abmeldet. Dann schlägt er sie und übt psychische Gewalt aus: sagt, er schlage sie nur, weil sie fehlerhaft sei. Er mache sie lediglich runter, damit sie zu einem besseren Mensch werde. Schließlich vergewaltigt er sie, wieder und wieder. Sie macht sich immer kleiner, um keine Angriffsfläche zu bieten, ihre Angst vor dem Tod jedoch wird immer größer.

Schwere und doch packende Lektüre

Und auch ihr Schreiben, das ihr bisher immer Mittel zum Ausdruck und Verbindung zu anderen Menschen war, wird reglementiert beziehungsweise ihr gänzlich genommen. Sie leidet nicht nur als Mensch und als Frau unter seiner physischen und psychischen Gewalt, sondern auch und gerade als Autorin. Ihre Identität, ihr Weg, sich in der Welt zu verorten, zu rebellieren, Dinge zu erörtern, steht ihr plötzlich nicht mehr oder kaum noch zur Verfügung: Sie schreibt, während er auf der Arbeit ist, und löscht dann wieder alles, damit er es nicht lesen und sie dafür bestrafen kann. Sie verschwindet zusehends, und dennoch schreibt sie: „Hoffnung ist der Verräter, der mich an diese Ehe kettet. Die Hoffnung, dass ab morgen alles besser wird. (…) Die Hoffnung – so will es das Klischee – stirbt zuletzt. Manchmal wünsche ich mir, sie hätte mich als Erstes verlassen, ohne Abschiedsbrief oder Umarmung an der Tür, und mich zum Handeln gezwungen.“

Fantastische Übersetzung

Schläge ist fesselnd, es tut weh und ist so verstörend, dass man sich jedes Mal, dass man es aus der Hand legt, die Hände waschen will, weil man sich so schmutzig fühlt. Gleichzeitig ist es leuchtendes Fanal, denn immerhin hat sie es geschafft: die Heldin hat sich befreit von dem Monster, vor allem mittels ihrer Worte. Dass die auch im Deutschen so wundersam wirken, das ist ein Verdienst der fantastischen Übersetzung von Karen Gerwig: der Sound ist stark und eindringlich, er rollt so rund, dass die Lektüre – trotz der düsteren Erzählung – eine echte Freude ist. Meena Kandasamy erobert sich ihr Leben und ihre Sprache zurück, Karen Gerwig ist dabei die Knappin, die Kandasamy Schild und Schwert reicht. Und so viel ist klar: Schläge ist bereits jetzt eines der besten Bücher des Jahres.

Meena Kandasamy: Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau
Aus dem Englischen von Karen Gerwig
CulturBooks, März 2020
Hardcover mit Lesebändchen 264 Seiten, 22 Euro

Bildquellen

  • KANDASAMY_Schlaege_RGB_300: Buchcover / CulturBooks
  • KANDASAMY_Schlaege_RGB_300_quer: Buchcover / CulturBooks