No sleep ‚till Wartburg: Martin Luthers Flucht als mobile Game

Martin Luther – Die Reise ist das passende mobile Game zum Reformationsjahr. Wir haben es getestet.

Um das gleich zur Anfang aus dem Weg zu räumen: Martin Luther war ein Antisemit, aber ganz so einfach ist es dann doch nichtMartin Luther war wohl auch ein eher unangenehmer und intoleranter Mensch, aber ein wichtiger für die europäische Geistesgeschichte. Und wo wir gerade dabei sind, kann man auch gleich die unfassbare Marketingmaschinerie rum um Luther und das Reformationsjahr kritisieren, in die ein mobile Game zu Luther sich erst einmal genauso einpasst wie die Luther-Sonderfigur von Playmobil.

Das ist so ungefähr der Kontext, in dem Luther – Die Reise sich ganz zwangsläufig bewegt. Und selbstverständlich kann ein Handyspiel diese Masse von Kontext und Selbstreflexion nicht wuppen, selbst eines, das sich neben „Spielspaß“, was auch immer das sein soll, Wissensvermittlung groß auf die Fahnen geschrieben hat.  Selbstverständlich möchte Luther – Die Reise das auch gar nicht. Wie auch?

Im Prinzip spielt sich Luther – Die Reise wie der Logistiksimulationsklassiker The Oregon Trail: Luther und seine Freunde laufen durch die Gegend, von Worms in Richtung Wartburg, auf der Flucht vor Verfolgern. Manchmal bekommen sie Hunger, dann gibt es Brot oder Wild, manchmal bekommen sie Durst, dann gibt es Wasser oder Wein oder Bier, manchmal müssen sie schlafen, allerdings bewegt sich die Gruppe dann nicht weiter, und die Verfolger holen auf.  Manchmal zweifeln auch alle an Luther, dann muss gepredigt werden, lustigerweise lässt sich das Problem auch kurzfristig mit Bier lösen. Man muss für Vorräte, Medizin und Verbandszeug sorgen. Zwischendrin gibt es immer wieder Entscheidungen – soll die Gruppe kurz mal anhalten, damit Luther einen seiner Texte schreiben kann? Soll die Gruppe einem Gaukler zusehen, für die kleine Chance, dass dieser Gaukler dann hinterher die Verfolger in die Irre führt? Soll für ein wenig Geld mit ein paar Studenten um die Wette getrunken werden, auf die Gefahr hin, dass eine verkaterte Figur die ganze Gruppe verlangsamt?

Keine Heldenreise

Soweit, so unspannend, so erwartbar. Nur ein weiteres von irgendwoher gefördertes Edutainment-Game mit langweiliger Spielmechanik und Bildungsauftrag. Wenn auch eines, das für sein Genre erstaunlich gut aussieht und sich, auch das ist nicht selbstverständlich, ohne größere Ärgernisse spielen lässt.

Interessant wird es in den Details. Wenn man mit Luther eine schwarze Katze wegbeten muss, anhalten, um irgendwelche Kirchenlieder zu schreiben, während einem die Verfolger im Nacken sitzen, man sein Tintenfass nach dem Teufel wirft, oder, das beste, die Moral der ganzen Gruppe sinkt, weil man Heilkräuter von einer älteren Frau angenommen hat, die ja nur eine Hexe sein kann, dann scheint da stellenweise ein recht unangenehmer religiöser Fundamentalismus durch. Eben der Fundamentalismus, den Luther-Gegner auch gerne mal an ihm kritisieren. Selbstverständlich, die letzte Entscheidung liegt immer beim Spieler – die Katze muss nicht weggebetet werden, sie kann auch einfach ignoriert oder verjagt werden. Aber alleine, dass solche kleinen Momente da sind, in denen Luther nicht als der strahlende Held der Reformation dargestellt wird, sondern als strenggläubiger, fast fundamentalistischer Christ, der halt irgendwie eine gute Idee hatte, muss man dem Luther – Die Reise hoch anrechnen.

Die Inszenierung der Inszenierung

Richtig interessant wird es dann, wenn man sich das anschaut, was der Publisher des Spiels als „Papercut“-Grafik bezeichnet. Denn der Spieler spielt nicht etwa tatsächlich Luther und Konsorten auf seiner Reise von Worms zur Wartburg. Die Spielfiguren sind grafisch als Scherenschnitt-Figuren konzipiert, die nicht etwa durch eine Landschaft wandern, sondern über eine Bühne – im Hintergrund sind immer deutlich die Schatten zu erkennen, die sie auf die gemalten Kulissen werfen. Das mag an historische Vorbilder von Schattentheater-Spielen angelehnt sein. Der Spieler jedenfalls spielt eine Inszenierung der Reise – beziehungsweise inszeniert sie als Regisseur selbst.

Wenn man sich das noch mit den Entscheidungsmöglichkeiten zusammen denkt – welche Texte sollen geschrieben werden, wie abergläubisch entscheidet man, wie nett ist man zu Bettlern? – bekommt man mit Luther – Die Reise ein Spiel das, absichtlich oder nicht, einen doch ganz klugen Kommentar zum Reformationstag abgibt. Nämlich den, dass jeder sich seinen Martin Luther selbst zusammenbastelt, und dabei einfach ignoriert, was nicht passt. Und ein Spiel, das im Hintergrund dann doch ganz schön was an Diskurs wegwuppt.

Weitere Informationen:
Entwickler: Zeppelin Studio
Publisher: Target Games
Gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg, Film- und Medienstiftung des Landes Nordrhein-Westfalen
Für Android und iOS verfügbar

Bildquellen

  • Luther – Die Reise: Screenshot

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