Online-Dating: We can’t stop here. This is Bot country.

Jan Fischer über die Tragik hinter den Bot-Frauen auf den Online-Dating Portalen Ashley Madison und Lovoo.

„Ein Gemälde der Romantik zeigt eine Auftürmung von Eisblöcken in fahlem Polarlicht; kein Mensch, kein Objekt belebt diesen trostlosen Raum; aber wenn ich auch nur im geringsten der Traurigkeit der Liebe verfallen bin, verlangt diese Leere geradezu, dass ich mich hineinprojiziere; ich sehe mich als kleine Figur, für immer verlassen, auf einem dieser Eisblöcke sitzen.“

– Roland Barthes, „Fragmente einer Sprache der Liebe“

Setz dich in ein Café. Schaue in die Gesichter der Männer, die vorübergehen. Nein, nicht die Arschlöcher. Die netten. Die, die eigentlich in Ordnung sind. Wie viele davon sind einsam? Wie viele davon sehnen sich nach Wärme neben sich in der Nacht, nach dem Gefühl von Haut auf Haut, nach einem Gespräch mit jemandem, mit dem sie sich verstehen? Was würden sie dafür tun? Was würdest du dafür tun?

Man kann tatsächlich mal versuchen, das hoch zu hängen. Den Ashley -Madison-Hack, den (mutmaßlichen) Leak bei Lovoo, bei dem Dokumente ans Licht gekommen sind, die angeblich beweisen, dass männliche Nutzer mit Fake-Profilen zu kostenpflichtigen Aktionen gebracht werden sollen. Man kann versuchen, das hoch zu hängen, und sagen: Wie vielen einsamen Männern hat ein Bot das Herz gebrochen, oder zumindest angeknackst? (Tatsächlich sind bei diesen Leaks und Hacks die Männer die leidtragenden, schlicht, weil es auf den Plattformen mehr davon gibt, und die verkauften Services für Frauen meistens kostenlos sind.)

Bei Ashley Madison war es wohl so, dass sehr viel weniger Männer als Frauen auf der Seite aktiv waren – dafür aber 70.500 Bots versuchten, hauptsächlich Männer dazu zu beflirten, das 250 US-$ teure „Affären-Garantie-Paket“ zu kaufen. Bei Lovoo soll es darum gegangen sein, Männern eine kostenpflichtige VIP-Mitgliedschaft zu verkaufen, indem Bots ihre Profile aufriefen. Die Männer konnten zwar sehen, dass jemand auf ihrem Profil gewesen war, wer, das lässt sich nur mit einer VIP-Mitgliedschaft sehen.

Beide Plattformen sind in ihren Zielen ein bisschen anders gelagert – Lovoo ist eine Flirtplattform, die ein wenig wie Tinder funktioniert. Ashley Madison ist eine Plattform, bei der es darum geht, Affären zu haben, die Seite verspricht Diskretion, damit ein etwaiger Partner nichts davon erfährt. Es geht bei allen Plattformen – Ashley Madison, Tinder und Lovoo – darum, möglichst schnell jemanden zu finden, der einem auf die eine oder andere Art nahe kommt. Aus dieser Richtung betrachtet, sind einige der Passwörter, die beim Ashley-Madison-Hack angespült worden sind, richtiggehend rührend: ishouldnotbedoingthis, ithinkilovemywife, thisiswrong, whatthehellamidoing, whyareyoudoingthis, cheatersneverprosper, donteventhinkaboutit, isthisreallyhappening und noch einige Selbstreflektionen mehr.

Willing suspension of disbelief

Je mehr man darüber nachdenkt, desto tragischer wird diese ganze Sache: Niemand geht ohne Grund auf eine Dating- oder Affären-Plattform, im Kern davon liegt immer Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation, im besten Fall schlichte Neugierde. Niemand nimmt grundlos die Möglichkeit auf sich, jemandem näher zu kommen. Und dann passiert – so sollen die Lovoo-Bots funktionieren – folgendes: Die Männer erstellen, wahrscheinlich mühevoll, ein Profil. Das Profil wird von einer Frau besucht, die eigentlich ein Bot ist, aber das weiß niemand, von ihr ist nichts zu sehen ist als ihr Vorname. Diese Bot-Frau gibt an, dass ihr das Profil dieser Männer gefällt. Die Männer kaufen eine VIP-Mitgliedschaft, was sind die paar Euro schon gegen die Chance auf ein bisschen schnellen Sex oder vielleicht sogar eine langfristige Partnerin? Sie schreiben eine Nachricht an die Bot-Frau. Und bekommen nie eine Antwort.

Bei Lovoo soll es nicht so schlimm gewesen sein wie bei Ashley Madison, wo, wenn man den Berichten glaubt, mehr Bots Aktivität simuliert haben als tatsächlich Frauen angemeldet waren. Bei Lovoo wurden tatsächlich auch Menschen zueinander vermittelt. Ashley Madison hat schlicht Aktivität (für Männer auf der Suche nach Frauen – homosexuelle Gesuche haben die Bots ignoriert) größtenteils nur simuliert, und zur Not Männer auch mal mit einem Escort-Service verkuppelt.

Trotzdem bleibt die Frage: Wie weit geht die willing suspension of disbelief der Männer in solchen Fällen? Auf wie viele tote, leere, nie antwortende Profile muss einer stoßen, bis es reicht, bis man aufhört, bis man sich irgendwo beschwert? Wie erklärt er sich, dass da eine Frau auf dem eigenen Profil war, die sich offenbar noch nicht einmal die Mühe gemacht hat, ein Foto aufs Profil zu stellen? Und nie antwortet? Wie erkläre er sich, dass er plötzlich an einen Escort-Service gerät, oder die Frauen, die ihm ständig eindeutige Nachrichten schicken, ihn nicht treffen wollen aber dafür darauf drängen, dass er irgendetwas kaufe? Sehr weit, offenbar, wenn man sich anschaut, wie lukrativ für Lovoo (laut Bericht bis 5000 Euro täglich) und Ashley Madison die Bot-Frauen waren, oder was passierte, als jemand es schaffte, dass auf Tinder plötzlich Männer mit Männern flirteten, obwohl beide Partner auf der Suche nach Frauen waren.

Das ist die eigentliche Tragik dieser Geschichte – die Tragik der einsamen Männer, die auf der Straße an einem vorübergehen, auf der Suche nach Wärme, nach Haut auf Haut, nach kurzen oder langen Begegnungen, und sich abends an den Computer setzten, mit erhöhtem Herzschlag, weil sie eine Nachricht haben, weil jemand ihr Profil besucht hat. Aber dann doch nur in elektrischer Einsamkeit stranden, die dazu designt ist, ihnen Geld aus der Tasche zu ziehen.

Im Zuge von Ashley Madison, Lovoo und der zunehmenden Zahl von Tinder-Bots ist es keine unwichtige Frage, wie es bei anderen Plattformen aussieht – wieviel echt ist, wie viele Bots unterwegs sind, oder, wie bei Ashley Madison, wie viele echte Menschen hinter Fake-Profilen versuchen, einsamen Menschen noch mehr Service zu verkaufen, bei dem es mit der Liebe dann garantiert klappt. Bis jetzt weiß es noch niemand – vielleicht alle, vielleicht ein paar, vielleicht keine mehr. Zwei, drei Fälle unter hunderten Portalen sind keine Regel – selbst, wenn die zwei, drei Fälle klingen als seien sie direkt aus einem dystopischen Roman entlehnt (Bots,  die sich zugunsten von Firmen prostituieren! Menschen, die als Bots posieren, die als Menschen posieren! Digitale Einsamkeit!) und der Ruf der Online-Dating-Branche nicht unbedingt der beste ist.

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