Rage Quit: Der Jahrmarkt der verletzten Eitelkeiten

Eine neue, leicht gruselige Ausstellung zum Rage Quit bemüht sich um eine Definition des Phänomens. Jan Fischer hat sie sie sich angesehen. Protokoll einer Führung.

Kommen Sie, kommen sie, treten sie näher. Wenn Sie Angst bekommen, nehmen Sie einfach meine Hand. Keine Sorge, ihre Augen gewöhnen sich schon an die Dunkelheit gewöhnen, Ihre Nase an den Geruch. Etwas moderig riecht es, das sind die Exponate. Einige sind schon sehr alt, denn, wissen Sie, mit dem ersten Videospiel gab es auch den ersten Spieler, der wütend den Controller auf den Boden geworfen hat.

Aber ich greife vor. Haben sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt? Wenn Sie hier einmal nach oben schauen… Die Geräusche? Ach, beachten sie das nicht. Das sind nur die neueren Exponate. Wir haben das alles noch nicht sortiert. Im Vertrauen: Es ist ein Urwald. Foreneinträge in Großbuchstaben. Memes, kennen Sie Memes? Einige Leute scheinen das lustig zu finden. Am lautesten ist aber /b/. Wir haben sie ganz tief in den Keller gesteckt, die kleinen Racker. Es ist ein emotionales Thema. Aber keine Sorge. Manchmal kann die Lautstärke etwas einschüchtern sein. Aber die wollen alle nur spielen.

Wo waren wir? Hier, sehen Sie, wir haben eine blaue Schildkröte als Symbol gewählt. Ah, Sie lächeln. Sie spielen Mario Kart? Dann wissen Sie ja Bescheid. Ach, die Wut die dieses Ding ausgelöst hat. Es ist nie der Fehler der Spieler, wissen Sie? Man kann ihr nicht ausweichen. Sie hat, sage ich immer, Freundschaften zerstört. Aber auch: Spiele! Wie viele Menschen frustriert aufgegeben haben! Schön. Es gibt Videos davon, suchen Sie mal auf YouTube. Ein Genuss, sage ich Ihnen, ein Genuss. Sie können in unserem Souvenirshop eine davon kaufen. Aus Plüsch? Haha, Nein.

Das hier ist die Halle der Unmöglichen Spiele. Naja, Halle. Unser erster Ausstellungsraum. Sehen Sie, links läuft das Hindernislevel von Battletoads in Dauerschleife. Natürlich nie bis zum Ende. Einige Bildschirme mit Nintendo-Spielen der mittleren 80er Jahre. Silver Surfer, beispielsweise.
Wir haben uns bemüht, in unserer kleinen Ausstellung verschiedene Traditionslinien zu zeichnen. Wissen Sie, es gibt unterschiedliche Arten des Rage Quit. Was Sie hier gerade sehen, ist ein kleiner Blick in die lange Geschichte der unmöglichen Spiele. Von Atari bis, hier, wenn sie auf den letzten Bildschirm schauen, sehen Sie, wie ein Spieler in Dark Souls immer und immer wieder an demselben Gegner scheitert.
Was meinen Sie? Ja, manche Menschen haben tatsächlich Spaß daran, da haben Sie Recht. Frustrationstoleranzen sind unterschiedlich. Die Frage ist auch, lassen Sie mich hier kurz ein wenig philosophisch werden, was für ein Spiel der Spieler gerne spielen möchte. Was er unter Spielspaß versteht, wissen Sie? Erlauben Sie mir kurz vorzugreifen: Sie werden sehen, dass viele Spieler ein masochistisches Verhältnis zu spielen haben. Sie quälen sich, um zu gewinnen, damit das Gewinnen dann einen höheren Wert hat. Meistens gewinnt der Spieler ja auch. Manchmal gewinnt eben das Spiel. Das ist es, was wir Rage Quit nennen.

Lulz und Trolle

Wo waren wir? Ach ja. Lassen Sie mich kurz, während wir weitergehen, kurz noch auf die anderen Arten des Rage Quit eingehen. Sehen Sie, wenn Sie alleine spielen, ist es einfach: Sie schalten wütend die Konsole oder den Computer aus. Sie werfen den Controller in die Ecke, oder beißen in etwas oder schreien. Vielleicht machen Sie etwas kaputt. Sie sind mit ihrer eigenen Wut konfrontiert, mit ihrem eigenen Versagen. Aber das machen Sie mit sich aus. Wenn Sie aber – in Multiplayerspielen beispielsweise – ragequitten kurz bevor Sie das Spiel verlieren, müssen Sie andere Menschen bedenken. Sie lassen entweder ein Team im Stich oder Sie nehmen dem Gegner die Möglichkeit gegen Sie zu gewinnen – er war ja auf dem besten Weg dorthin. Es gibt Menschen, die das für schlechten Stil halten. Manche Spiele bestrafen das mittlerweile. Bei Street Fighter 5, beispielsweise, können Sie nach drei Rage Quits innerhalb von 2 Stunden 24 Stunden lang nicht mehr online spielen. Bei Gears of War ist es ähnlich. Manche Spiele werten einen Rage Quit einfach wie ein verlorenes Match. Hoch kontrovers, natürlich! Was ist, so geht ein Argument, beispielsweise, wenn ich online spiele aber mein Internet plötzlich ausgeht? Passiert ja mal. Ein Spiel interpretiert das als Rage Quit. Hören Sie, wie es da unten jault? Das ist Reddit. Und /b/ trollt gerne – Spieler zum Rage Quit zu treiben ist eine lustige Freizeitbeschäftigung dort unten. Warum, fragen Sie? Ich weiß es nicht. Ich bekomme aus /b/ kein vernünftiges Wort raus. Lulz, sagen sie immer nur.

Kommen Sie, kommen Sie, wenn wir jetzt hier weitergehen – Moment, ich halte Ihnen die Tür auf – kommen wir in unseren nächsten Raum. Wir haben noch keinen Namen dafür, ich nenne ihn: Die Echokammer der Theorien. Schick, oder? Es wird vielleicht etwas trocken, nun ja. DA müssen Sie durch, wenn Sie etwas lernen wollen. Stimmt‘s oder habe ich Recht? Haha.
Ah, ja, genau da sollten Sie hinschauen. Das große Portrait dort. Dieser Mann mit dem Seitenscheitel, der leicht traurig in die Kamera schaut. Was halten Sie davon? Ich habe es selbst gemalt. Das ist Johan Huizinga, ein bekannter Spieltheoretiker, der… ach, Sie kennen Huizinga? Umso besser, umso besser.

Machtdemonstration

Sehen Sie, ich hatte gerade gesagt, dass ein Rage Quit ist, wenn das Spiel gewinnt. Das ist nicht ganz richtig. Es ist die Vermeidung der Niederlage – das ist nicht dasselbe.
Sehen Sie – ich rede hier wieder von einem Spieler, der alleine spielt – dem Rage Quit geht immer eine Art von Frustration voraus. Etwas funktioniert nicht. Ein Sprung. Das Timing. Normalerweise wird der Spieler mit der Zeit besser, wiederholt viel, aber kommt auch weiter – vor einem Rage Quit nicht. Es ist Stillstand, der Spieler ist, wenn Sie so wollen, machtlos. Machtlos bis auf eine Sache: Er kann einfach aufhören zu spielen. Eine richtige Niederlage wäre, wenn er niemals aufhören würde. Ein Sieg wäre, wenn er am Ende des Spiels angelangt. Ein Rage Quit liegt im Niemandsland dazwischen. Niemand gewinnt, niemand verliert. Das Spiel ist kein Spiel mehr, und der Rage Quit eine Machtdemonstration.
Das ist beim Multiplayer Rage Quit ähnlich – nur wird da die Macht nicht über das Spiel demonstriert, sondern über die anderen Spieler. Wenn Sie nicht gewinnen, dann soll niemand gewinnen – oder zumindest sich beim Gewinnen ärgern. So ähnlich ist da vielleicht der Gedanke, vermute ich. Andererseits, und das, sehen Sie, ist die Pointe, ist für der Rage Quit der anderen für die übrig gebliebenen vielleicht der größte Sieg. Sie können gegen jemanden gewinnen – oder ihn so grundlegend mit Ihrer Überlegenheit einschüchtern, dass Ihr Sieg sich gegen die Spielregeln ins, sagen wir, Psychologische, verlagert. Dominanz ist hier ein Stichwort das oft fällt. Team Fortress 2 hat sogar ein eigenes Achievement für Spieler, die andere Spieler zum Rage Quit treiben.
Wenn Sie das gut machen, jedenfalls – deshalb haben wir als zukünftige Exponate auch /b/ erworben – brauchen Sie dafür noch nicht einmal überlegene Fähigkeiten in dem Spiel, oder die besseren Waffen. Sie müssen einfach nur Leute gut nerven können. Trollen, so nennen sie das bei uns im Keller.
Keine Niederlage, kein Sieg, nicht im Sinn der Spielregeln, jedenfalls. Was unser Spieler gewinnt, ist, und da steht der Rage Quit dem Sieg nahe, ist die Freiheit vom Spiel. Die Freiheit, aufzustehen, etwas anderes zu tun. Nur ist er nicht damit konfrontiert, dass er eine gute Leistung erbracht hat – sondern, wie sagte es oben schon, mit sich selbst, seiner Wut, seinem Versagen. Ein bisschen traurig, finden Sie nicht?
Sekundärliteratur dazu können Sie übrigens hinterher kaufen, wir haben einige Bücher ausliegen. Falls Sie interessiert sind.

Wenn Sie mögen, kommen wir hier noch in unseren letzten… ach, Sie fragen nach Huizinga? Warum sein Portrait dort hängt? Nun, man fragt sich, was er zum Rage Quit gesagt hätte. Hier, stellen Sie sich doch mal in diesen Kreis hier auf dem Boden, das ist unter interaktives Exponat. Was? Achso, Nein, Sie müssen nichts tun. Bleiben Sie dort einfach stehen. Huizinga sagt ja, alles, was im Spiel passiert, passiert in so einem Kreis. Man kann sich übrigens ganz wunderbar streiten, wie groß und auf welchen Ebenen der Kreis wie groß ist. Aber das nur nebenbei. Wichtig ist: Der Kreis ist anders als die Welt außerhalb des Kreises. Er hat andere Regeln. Wenn Sie spielen, akzeptieren Sie die Regeln innerhalb des Kreises. Wenn Sie beim Spielen schummeln auch – Sie beschließen nur, die Regeln nicht zu befolgen. Sie sind ein Spielverderber, wenn Sie beschließen nicht zu spielen. Den Kreis nicht zu sehen und nicht zu akzeptieren. Aber das müsste Ihnen ja bekannt sein. Interessant wird es, wenn Sie sich fragen, wie der Kreis und der Rage Quit sich zueinander verhalten – liegt er, als legitimes Mittel des Spiels, innerhalb des Kreises? Ist er der gewaltsame Übertritt hinaus aus dem Kreis und markiert den Übergang vom Spieler zum Spielverderber? Oder ist das alles noch ganz anders, überlappen sich hier einfach unterschiedliche Vorstellungen von Art und Größe des Kreises? Wir müssen, wie gesagt, unsere neu erworbenen Exponate im Keller noch etwas sortieren, aber auch denke, das sind die Fragen, über die sie dort unten alle jaulen und streiten. Wie? Nein, nein, hier bei uns können wir das nicht beantworten. Aber nehmen Sie die Fragen doch mit nach Hause. Kostenlos! Haha.

Als Mensch daran wachsen

Kommen Sie, folgen Sie mir, Vorsicht bitte, in unseren letzten Raum. Achtung, Stufe! Es geht hier nach oben. Nicht erschrecken: Der Raum ist heller als die anderen. Ja, selbstverständlich bedeutet das etwas. Wir wollen unsere Besucher etwas, nun ja, fröhlicher entlassen. Dann kaufen sie hinterher mehr, nicht mehr wahr? Deshalb ist der Raum auch isoliert. Den Keller hören Sie hier nicht mehr. Wir nennen ihn dem Raum des Neuanfangs.
Sehen Sie, wir haben über den Rage Quit immer als Ende eines Spiels gesprochen – aber was passiert danach? Der Rage Quit ist eine Affekthandlung – Sie sind wütend. Aber die Wut ist ja am größten im Augenblick des Rage Quit, danach klingt sie ab. Sie sehen sich selbst in diesem nackten Zustand der Wut, und, postuliere ich, Sie mögen sich dann nicht. Sie sind eigentlich ein anderer, besserer Mensch. Oder? Was tun Sie also? Sie versuchen es nochmal. Weil ein Rage Quit eben nicht gewinnen ist, sondern nur ein Notausstieg aus der Möglichkeit einer Niederlage. Und ein Spiegel des schlechtesten in ihnen. Da ist doch immer dieser – würden Sie mir da nicht zustimmen? – schale Nachgeschmack. Wir haben da schöne Texte in unserem Archiv, ich zeige die Ihnen bei Gelegenheit mal. Nach der Wut kommt der verletzte Stolz. Die verletzte Eitelkeit. Und die Tatsache, dass das Spiel ja immer noch da ist – Sie haben zwar die Freiheit vom Spiel gewonnen, Sie können gehen, aber das Spiel geht nirgendwo hin.
Nun, ich mache es mal kurz, die Zeit wird langsam etwas knapp: Wir haben viele Texte von Menschen die sagen: Das Spiel, das mich wütend gemacht hat ist auch das Spiel, mit dem ich mich genau deswegen intensiver beschäftigt habe. Das ich tiefer verstanden habe. In dem ich genau deswegen besser geworden bin. Weil ich das, die Wut, das Versagen, nicht auf mit sitzen lassen wollte. Das klingt gut, oder? Vielleicht ein wenig kitschig. Lassen Sie uns diese Führung doch mit einer etwas größeren These abschließen: Wenn Sie ihren eigenen Rage Quit ernst nehmen, können Sie als Mensch daran wachsen.
Bitte gehen Sie doch hier entlang zum Ausgang. Und schauen Sie in unserem Souvenirshop vorbei!

(c) WASD Magazin 12/17

Bildquellen

  • ZnaCD9a: Screenshot Battletoads