Sarah Kuttners Roman „Kurt“ – Irgendwie weitermachen

Sarah Kuttners vierter Roman Kurt erzählt die Geschichte vom Tod eines Kindes: Kurt fällt vom Klettergerüst, und Lena, die nicht die Mutter ist, und sein gleichnamiger Vater müssen nun mit dem Unvorstellbaren fertig werden. Martin Spieß hat das Buch gelesen.

Der Tod eines Kindes ist für Eltern wahrscheinlich das Schlimmste, was passieren kann. Wenn die Reihenfolge, in der der Tod – der eh schon kein besonders freudiges Ereignis ist – natürlicherweise einzutreffen hat, nicht eingehalten wird. Nichts wird dann mehr, wie es war.

Nun hat sich Sarah Kuttner in ihrem mittlerweile vierten Roman Kurt dieses Themas angenommen. Am Anfang ist noch alles schnieke: Lena und Kurt haben sich ein Haus in Brandenburg gekauft, weil die Mutter des kleinen Kurts Jana hier draußen wohnt und das Pendeln ein Ende haben soll. Es wird renoviert, der Garten wird in Ordnung gebracht, Bäume gepflanzt. „Und dann fällt Kurt vom Klettergerüst“, kippt die Geschichte plötzlich, auch wenn von Vornherein wegen Klappentext und Buchwerbetrommel klar ist, dass der kleine Kurt sterben wird.

Verzweiflung ohne Ausweg

Alles gerät aus den Fugen, in der schlimmsten Szene des Buches sogar im wahrsten Sinne des Wortes, wenn Kurt mitten in der Nacht die Fliesen von den Wänden des Badezimmers drischt, weil das Bad ja gemacht werden müsse, Lena finde es doch so hässlich. Er blutet und schluchzt und weint, und nicht nur Lena, sondern auch die Leser*innen sind überfordert mit diesem Maß an Verzweiflung, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Kurz danach beschreibt Kurt es auch wie einen Keller, in dem er und Jana säßen. Er könne herausschauen, aber er sitze darin fest. Als Lena sagt, sie würde ihm helfen, würde zu ihm in den Keller kommen, lehnt er ab. Es sei furchtbar da. „Ich will nicht, dass du da drin bist.“ Auch Lenas Schwester Laura kann ihr nicht so recht beistehen, zu der sie kurz nach Kurts Tod ein paar Tage flüchtet.

Sarah Kuttner packt mit Kurt nicht zum ersten Mal schweren, düsteren Stoff an: In ihrem Debüt Mängelexemplar ging es um Depression, Wachstumsschmerz erzählte eine wundervolle Fabel über die Generation Y und den auf ihre lastenden Druck, immer perfekt sein zu müssen. Und 180° Grad Meer erzählte die Geschichte einer jungen Frau, deren verkorkste Kindheit sie noch im Erwachsenenalter beutelt und die sich nun ihrem sterbenden Vater stellt, der sie einst im Stich gelassen hat.

Bewundernswert lässiger Sound

Wie schon ihre ersten drei Romane, erzählt Kuttner auch Kurt in bewundernswert lässigem Sound, der trotz des Themas Kindstod jedoch nie unpassend wirkt. Im Gegenteil werden ihre Figuren dadurch nur umso menschlicher. Das Leben geht weiter, so schrecklich diese Erkenntnis auch ist. Und Sarah Kuttner beherrscht wie keine Zweite die Fähigkeit, mit ihren Figuren echte Menschen zu erschaffen, für die man Empathie empfindet, mit denen man mitleidet und deren Schicksal man gerne ändern möchte. Weil sie Dinge totdenken und weil sie gelähmt sind, weil sie trauern und trotzdem lieben, weil sie erregt sind und Sex haben, weil sie straucheln und nicht mehr weiterwissen. Weil sie weinen, wenn sie das Kinderzimmer ausräumen oder den noch mit Kurt gepflanzten Jasmin wässern. Und weil sie am Ende eben doch weitermachen, irgendwie. Auch wenn es ist, wie Kurts Mutter an einer Stelle des Romans sagt: „Es ist nicht wie Liebeskummer. Es wird nie ganz vorbei sein. Es wird nie wieder so wie vorher.“

Wenn es nicht schon nach ihrem Debüt oder den darauffolgenden Romanen – Held*innen, Sound und Lebensweisheiten – klar war, ist es das spätestens jetzt: Man mag sich Sarah Kuttner aus der jungen deutschen Gegenwartsliteratur nicht mehr wegdenken.

Sarah Kuttner: Kurt
S. Fischer, Frankfurt a.M.
Hardcover, 240 Seiten, 20 EUR

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