Stefan Wimmer: „Mit dem Grinsen eines Westernbanditen“

Martin Spieß hat mit dem Autor Stefan Wimmer über sein neues Buch „Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas“ gesprochen – und über die Angst der großen Verlage vor allem, was nicht bürgerlich ist.

Stefan Wimmer, Münchner Autor und Journalist, hat nach sieben Jahren sein drittes Buch vorgelegt. Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas ist eine Sammlung von Short Stories, und Wimmers Protagonist Ingo W. Falkenhorst ist wie schon in seinen ersten beiden Büchern auf der Suche nach Erlösung: ob in Form einer Frau, eines Drinks oder eines guten Jobs. Martin Spieß hat Wimmer zum Gespräch getroffen.

2008 erschien dein letztes Buch Der König von Mexiko. Wieso hat es so lange gedauert, bis der Nachfolger kam?

Weil ich während der ganzen Zeit etliche, nie endende Arbeiten fürs Radio und den Printjournalismus zu verrichten hatte, um mein täglich Brot zu verdienen, und es mir leider bisher noch nicht gelungen ist, einen mächtigen Gönner im Kulturbetrieb aufzutun.

Sprich: dir fehlte einfach die Zeit?

Auch. Ich brauche generell sehr lange für eine Geschichte, circa drei Monate für 20 Seiten im Buch. Woran das liegt, weiß ich selbst nicht. Es ist ein bisschen wie bei Proust, der gesagt hat: „Die Hälfte des Tages habe ich damit zugebracht, ein Komma zu setzen, die andere Hälfte, es wieder zu entfernen.“

War das lange Fehlen eines Manuskripts auch der Grund, weshalb dein neues Buch Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas bei einem kleinen Verlag erschienen ist?

Nein. Dass das „Bilderbuch“ bei einem kleinen Verlag erschienen ist, rührt daher, dass die deutschen Verlage mit jedem Tag noch zauderlicher, kleinmütiger und spießiger werden als ohnehin schon. Ich hatte Cheflektorinnen am Telefon, die nach Erwähnung des Wortes „Vulkanvaginas“ das Gespräch abgebrochen haben, und ich hatte Unterhaltungen mit Ober- und Unterlektoren, die meinten: ‚Selbst wenn ihr letztes Buch 15.000 Exemplare verkauft hat – das können wir nicht veröffentlichen.’

Weil sie das Buch – oder auch nur das Wort „Vulkanvaginas“ – für sexistisch hielten?

Es dreht sich eher um bürgerliche Schreibweisen und Meinungen, denen ich nicht folge. Das scheint der Stein des Anstoßes zu sein. Es gibt auf dem Buchmarkt seit etlichen Jahren das Genre der „Der-Mann-als-Zwerg“-Literatur, in der junge Schriftstellerinnen ihre Geschlechterbeziehungen schildern und Männern grundsätzlich die Rolle des Freaks, des Kauzes oder des Pausenclowns zukommt. Aus all diesen Büchern sprechen im Grunde die Stimmen junger Großbürgerinnen oder Möchtegern-Großbürgerinnen, die bürgerliche Meinungen und Schreibstile vertreten. Andere Inhalte sind dem Buchmarkt suspekt, vor allem natürlich, wenn sie ins Subversive hineinspielen.

Mit „anderen Inhalten“ meinst du die Abenteuer deines Protagonisten Ingo W. Falkenhorst? Es lässt sich ja nicht verleugnen, dass der zuweilen chauvinistische Anwandlungen hat und auch nicht immer ideal mit Frauen umgeht. Du erzählst mitunter schon von einer antiquierten Welt, in der schöne, kluge und sinnliche Frauen den rebellischen Helden der Geschichte erlösen oder widerspenstige Frauen ihn um den Verstand bringen.

Mit „anderen Inhalten“ meine ich wirklich alle möglichen „anderen Inhalte“. Es gibt genügend Kollegen, die völlig andere Literatur als ich schreiben, aber die gleichen Erfahrungen mit der Herrschaft in den momentanen Lektoraten machen. Zum Thema Falkenhorst: Der ist natürlich eine Kunstfigur, die mit mir nur zum Teil zu tun hat. Wenn die Figur bisweilen chauvinistische Äußerungen tätigt, so steht das immer im Dienst des Scherzes. Ich schreibe ja primär humoristische Literatur. Aber ja, es ist eine archaische Welt in den „Vulkanvaginas“. Ein bisschen wie Rhett Butler und Scarlett O’Hara – nur dass meine Scarlett O’Haras noch verdrehter sind.

Dass du erwähnst, dass Falkenhorst eine Figur sei, die mit dir nichts gemein habe, klingt, als habest du diesen Vorwurf schon öfter gehört: „Der Wimmer, der ist seine Figur.“

Sicher, die häufigste Frage der Leser an mich ist: „Hast du das wirklich alles erlebt?“ Laut meinem ehemaligen Deutschlehrer ist so ein Biographismus natürlich falsch (lacht). Und ich würde wahrscheinlich nicht so lange brauchen, um eine Geschichte zu schreiben, wenn ich die Sachen einfach aus der Wirklichkeit rüberkopieren könnte. Insofern hat das Schreiben natürlich sehr viel mit Fiktion zu tun.

Aber der Vorwurf, dass du derselbe archaische Chauvinist bist wie der Held deiner bisherigen drei Bücher taucht immer wieder auf?

Nein, die Frage des „Hast du das wirklich alles erlebt?“ steht immer im Zusammenhang mit dem Wunsch des Lesers nach Identifikation, mit erzählerischen Situationen der Bedrohung oder des Absurden. Ich habe ja auch viele weibliche Leser, die die Bücher mögen und darüber lachen können – und mehrere meiner Exfreundinnen würden zustimmen, dass ich im Grunde ein ganz netter Kerl bin. Der Vorwurf des Chauvinismus kommt ausschließlich von der Warte der Lektorate. Es sind im Augenblick die Lektorate – beziehungsweise vergleichbare Institutionen wie die Agenturen –, die sich zwischen die Literaturproduzenten und die Leserschaft schieben, im Sinne von Zensur. In diesem Zusammenhang wäre es natürlich auch völlig egal gewesen, ob ich das „Bilderbuch“ als Mann, als Frau oder als Transsexueller angeboten hätte – es wäre in keinem Fall von den Verlagen akzeptiert worden.

Du sprichst von „Zensur“ und „Herrschaft in den momentanen Lektoraten“: findest du das nicht etwas übertrieben?

Nein. Meine Erfahrung mit den Lektoraten ist in der Tat so, dass man es dort zu 90 Prozent mit ganz schlichten, humor- und geschmacklosen Menschen zu tun hat, die zur Unterhaltung wirklich Alpenkrimis, Vampirthriller oder Die Wanderhure lesen. Ich erinnere mich noch an das Treffen mit dem damaligen Cheflektor eines großen Münchner Verlages, der mir freimütig erzählt hat, wie er das letzte Manuskript von Houellebecq aufgrund des „Fehlens einer Liebesgeschichte“ abgelehnt hat (wobei er Houellebecqs Namen – ganz nebenbei erwähnt – noch nicht einmal richtig im Kopf hatte und diesen mit Frédéric Beigbeder verwechselt hat). Natürlich handelte es sich bei dem Manuskript um die Übersetzung eines Houellebecq-Romans, die Vorstellung, dass Houellebecq nach Deutschland kam, um bei Cheflektor X. vorzusprechen, wäre natürlich der definitive Alptraum. (lacht) Egal, Tatsache ist, dass solche Lektoren in ihrem Verlag nur veröffentlichen, was im letzten Weiterbildungs-Seminar als „das nächste große Trendthema“ heraufbeschworen wurde – und gemäß ihren Hoffnungen den großen Reibach verheißt.

Dass das Verlegtwerden gerade für Indie-Autoren – und zu denen zähle ich dich deiner Themen und deines Stils wegen – ein immer größeres Problem wird, habe ich Anfang letzten Jahres im Zusammenhang mit der Debatte um die junge, deutsche Gegenwartsliteratur in einem Artikel kritisiert: dass Texte von unten, in denen gefickt und gesoffen wird, wo kluge Sprüche geklopft werden, bevor man jemandem eine reinhaut, außerhalb von kleinen oder Indie-Verlagen kaum vorkommen. Du gehörst mit 46 zwar vom Alter her nicht mehr zur jungen deutschen Literatur, stilistisch und thematisch aber definitiv, hast also mit dem selben Problem zu kämpfen.

Jung sein ist eine Frage des Herzens. (lacht) Im Ernst: der Artikel ist mir bekannt – ein sehr guter und exakter Text, auf den Punkt getroffen! Und ich würde auch insofern zustimmen, als dass amerikanische Drehbuchschreiber – z.B. Judd Apatow und die Farrelly-Brüder – auf mich weitaus größeren Einfluß haben als die deutsche Gegenwartsliteratur. Nebenbei gesagt: Jemand wie Tarantino könnte hier in Deutschland keinen einzigen Film unterbringen, genauso wie Kurt Tucholsky heutzutage vergeblich versuchen würde, ein politisches Buch an den Verlag zu bringen.

Abgesehen davon, dass ich glaube, dass politische Bücher aktuell sehr gut unterzubringen sind – denk nur an Pegida, an den immer schlimmer werdenden Rassismus und die Hetze gegen Flüchtlinge –, ist doch Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas kein politisches Buch. Es ist die Fortsetzung der Sinnsuche deines Protagonisten, der zwischen Frauen, Suff und Seelenheil mäandert.

Mein Protagonist ist auf ganzen fünf Seiten des Buchs betrunken, ich muss doch sehr bitten! (lacht)

Suff heißt für mich nicht Betrunkensein, sondern das permanente Vorhandensein von Alkohol.

(nachdenklich) Wenn das stimmt, wie du Suff definierst, dann wäre mein Leben ja täglich ab 20 Uhr „Suff“! (lacht)

Ich meine damit eher, dass das Trinken in deinen Texten zelebriert wird. Es ist Katalysator und Kitt für Konversationen. Und oft ist es der letzte Strohhalm, an dem sich deine Figuren festhalten. Und Falkenhorst verbringt ja viel Zeit in Bars, Kneipen und Kaschemmen. Will sagen: du schreibst keine politischen Gesellschaftskritiken. Du erzählst eher vom Menschsein, vom Suchen und Verlieren, auch wenn Falkenhorst immer wieder Missstände anprangert. Zum Beispiel wenn er auf dieser Schickimicki-Party ist, wo es nur (über)reiche Leute gibt, die einfältige Scheiße reden.

Ja, stimmt. Das liegt möglicherweise daran, dass mich während meiner Schulzeit die Pflichtlektüre der plakativen Nachkriegsliteratur gelangweilt hat. Aber „Der König von Mexiko“ und Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas sind sicherlich insofern politisch, als ich mich immer wieder gerne über die deutsche Bürgerlichkeit lustig mache.

Zurück zu den Verlagen: Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas ist im Blond Verlag erschienen, den ich vergeblich zu ergooglen versucht habe. Ich finde es fast ein bisschen zu passend, dass ein Autor wie du, dessen Bücher voll sind von Underdogfiguren, jetzt bei einem Verlag veröffentlicht, der so indie ist, das man ihn nicht mal bei Google findet. Macht dir das zu schaffen? Oder erträgt ein Stefan Wimmer das wie sein Protagonist stoisch und macht einfach weiter, weil es gar keine Alternative gibt?

Die momentane, U-Boot-artige Unsichtbarkeit des Verlags hat damit zu tun, dass dieser erst vor wenigen Tagen online gegangen ist und somit die Vernetzung noch zu wünschen übrig lässt. Das wird sich in den nächsten Wochen legen. Sinn des Verlags – mit dessen Leiter ich gut befreundet bin – ist folgender: Widerspenstiger, unkonventioneller Literatur ein Forum zu bieten, und diese in den Markt einzuspeisen. Und zwar nicht auf dieser lächerlichen „92 Prozent für den Verlag, 8 Prozent für den Autor“-Gewinnverteilung, sondern auf wesentlich egalitärer Weise. „Ni dieu, ni maitre!“, das ist das Motto des Blond Verlags.

„Kein Gott, kein Herr.“ Ein schönes Motto.

Absolut. Und ja, stoisch weitermachen mit dem Grinsen eines Westernbanditen, das ist nie falsch.

Dann wünsche ich dir dafür viel Glück. Und vielen Dank fürs Gespräch.

Danke dir.

 

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Stefan Wimmer. Das große Bilderbuch der Vulkanvaginas.

320 Seiten. 15,99 Euro.

www.blond-verlag.de

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