Western oder Dystopie? Egal. Space Cowboys!

Trends in der Literatur: Lasst uns alle Space Cowboys sein, auf der Suche nach der Gegenwart.

Lustig ist ja immer, wenn Journalisten versuchen, anhand von zwei, drei Veröffentlichungen, die sich vage ähnlich sind, einen Trend zu erkennen. Interessant ist es natürlich trotzdem, möglicherweise, weil sie mehr über die (natürlich nicht von der Hand zu weisende) Wahrnehmung der Journalisten von Gesellschaft sagen als derjenigen der Autoren.

Zum Beispiel: Im März noch, zur jährlichen Nabelschau des Literaturbetriebs in Leipzig, fand Richard Kämmerlings in der Welt eine neue Schrifstellergeneration, welche die Welt als „Katastrophe“ wahrnähme.

„Diese jungen Erzähler, alle zwischen 1979 und 1985 geboren, bilden selbst ein neuzeitliches Kollektiv wie Leif Randts „Dolphins“: selbstbewusst, elitär, sophisticated. In ihrem Erzählton sind die großen Gefühle, die politischen Aggressionen „postpragmatisch gefiltert“, wie das Marten Eliot nennt. Es gibt keine Empörung oder Verwunderung über die Welt, allenfalls ein leises, stilles Unbehagen an den Verhältnissen, an der Unmöglichkeit vollkommener Hingabe, der Sinnlosigkeit radikalen Engagements.“

Dystopien würden dort erzählt, aber Vorsicht:

„Science-Fiction sind alle diese Romane nicht, auch wenn sie in einer nahen Zukunft oder fernen Galaxien spielen. Sie sind futuristisch höchstens im Sinne von David Foster Wallaces „Unendlicher Spaß“: Sie spielen quasi in einer anderen Dimension der bekannten Welt.“

Es ließe sich da ganz vorzüglich über die Definition von Science-Fiction diskutieren, die, das müsste Kämmerlings eigentlich wissen, sich doch immer metaphorisch an der Gegenwart abarbeitet. Aber gut.

Electric Literature hat nun vor ein paar Tagen ein Western-Revival erkannt.

„Call it the zeitgeist, then: revisionist Westerns are having a proper literary moment. Except that it’s been over thirty years since Cormac McCarthy’s Blood Meridian, which looms massively over the notion of the revisionist Western, was first published. Alternately: a writer who was born on the day thatBlood Meridian was published might be well sitting at their keyboard, hard at work on a stunning revisionist Western of their own.“

Es soll hier gar nicht darum gehen, beides gegeneinander auszuspielen, das wäre auch nicht möglich, das sind Trends aus zwei verschiedenen Kulturkreisen, dazwischen ein Ozean. Beide Artikel funktionieren aber sehr ähnlich – etwas bestimmtes tritt gehäuft auf, es muss also ein Trend sein -, obwohl Kämmerlings sich noch ein bisschen mehr auf die Autoren einschießt und das Genre mit einer Handbewegung wegwischt.

Man könnte eine Parallelsetzung versuchen, und sagen: Beide Genres haben ihre Wurzeln in den großen Entdeckerzeiten der jeweiligen Kulturkreise, der Zeit, in der alles möglich schien und die Grenzen neu vermessen wurden: Die Science-Fiction-Dystopie ist letztendlich ein Kind der industriellen Revolution, der Western hat seine Wurzeln in der Pionier-Zeit USA, in dem Frontier-Mythos, der ja auch immer wieder beschworen wird.

Beide Genres treten – wenn man beiden Artikeln glauben möchte – im Moment gehäuft auf, vor allem aber sickern sie, als Dekonstruktionen, in die Mainstream-Mittelhoch-Literatur, also diejenige Literatur, die von Menschen gelesen wird, die was anspruchsvolles lesen möchten, aber keine Lust auf die ganz großen, sperrigen Bücher haben. (Was auch nochmal eine getrennte Trend-Betrachtung wert wäre: Der Rückzug der Autoren in die metaphorischen Welten der Genre-Literatur).

So gelesen wird ein ganz spannender Schuh daraus (ob man da jetzt auch drin laufen kann, ist eine andere Frage): Parallel werden auf zwei Kontinenten von Autoren noch einmal die Zeiten des großen Aufbruchs beschworen, im selben Atemzug aber auch voller Pessimismus dekonstruiert. So abstrahiert könnte man tatsächlich etwas über die Gegenwart aus den beiden behaupteten Trends herauslesen, sei es nun, weil die Autoren da tatsächlich, jeder und jede für sich, da etwas erkannt haben, sei es, weil die entsprechenden Journalisten, getrieben vom Confirmation Bias, etwas erkennen wollen. Fest steht: Ein wenig Dekonstruktion und Pessismus ist zwischen all der gegenwärtigen Aufbruchsstimmung vielleicht ganz angebracht. In welchem Genre man das nun erzählt, ist ja auch nicht wichtig.

Noch fester steht: Wir sollten alle Space Cowboys sein, auf der Suche nach der Gegenwart.