The sun always shines on tv

The Sun always shines on TV: Ausschlußverfahren – Das Öffentlichste ist das Privateste

Von 2000 bis 2002 schrieb der Medienwissenschaftler Mathias Mertens die sonntägliche Kolumne The sun always shines on TV über das Fernsehen. Heute: Teil 15 (28. Januar 2001)

Im Laufe von Jahrhunderten verändert sich oft die Bedeutung von Wörtern. So wird der englische Ausdruck „gay“, der ursprünglich „fröhlich herumhüpfend“ bezeichnete, heute ausschließlich mit Homosexualität verbunden. Die entsprechende Lehnbildung „geil“ im Althochdeutschen wurde zunächst für „überheblich“ verwendet, bevor es auf immer speziellere Blutwallungen reduziert wurde. Heutzutage gibt es Zeitschriften und Fernsehsendungen, die diese etymologische Entwicklung umkehren wollen; ihre eigentliche Geilheit (und die der Zuschauer) im neuzeitlichen deutschen Sinn, versuchen sie im Verlaufe ihrer textuellen Entfaltung zu einem überheblichen, fröhlichen Herumhüpfen in der großen Welt der Promis zu stilisieren. Dabei gelingen ihnen allerdings noch weitere etymologische Veränderungen.

Nehmen wir beispielsweise das schöne leitkulturelle Wort „exklusiv“, vom lateinischen „excludere“, „ausschließen“, herstammend. Exklusiv ist also alles, wo andere draußen bleiben müssen. Deshalb ist nicht das Essensangebot in den Freßpassagen der Düsseldorfer Kö an sich exklusiv, sondern das durch die hohen Preise bewirkte Fernbleiben Angehöriger unterer Schichten. Das Essen ist genauso scheiße wie das an der Pommesbude am Bahnhof, aber man ist gottseidank unter sich. Eine Fernsehsendung Exclusiv zu nennen, zielt genau auf dieses Ausschlußverfahren, wobei man allerdings marxistische Kritikformeln gegen sich selbst verwendet. Dadurch, daß die Kamera immer am Promi klebt, fühlt sich der/die Zuschauer/in immer dabei, ohne daß man tatsächlich die Promis durch die eigene Unterklasseerscheinung beleidigen müßte. Weil man immer dabei ist, spürt man nicht mehr den Drang, dabei zu sein, es würde einen sogar selbst beleidigen, wenn man dort Leute wie sich selbst sehen müßte. Denn durch die Kamera ist man selbst prominent.

Jetzt beginnt eine verwirrende Spiegelung. Denn auch die Promis sind nachher Zuschauer. Sie identifizieren sich mit dem Blick auf sie selbst. Diese Identifikation macht sie doppelt prominent, einerseits sehen sie sich als Bild eines Promis, andererseits genießen sie den privilegierten Blick eines Promis. Es stellt sich genau derselbe Effekt wie beim gemeinen Zuschauer ein: Weil man immer dabei ist, muß man eigentlich nicht mehr dabei sein. Fatal. Denn dann gäbe es irgendwann nichts mehr abzufilmen, weil alle nur noch zuschauende Promis sind. Veranstaltungen wären so exklusiv, daß überhaupt niemand mehr da ist. Was tun? Die Rettung besteht darin, daß die Prominente sich nicht mehr als solche verstehen, sondern als Privatpersonen. Wenn das Publikum sich den exklusiven Blick eines Quasi-Prominenten gönnt, dann gestattet man sich selber den Nicht-Luxus einer stinknormalen, triebgesteuerten Existenz. Das Bild eines Prominenten muß man nicht mehr abgeben, sondern man holt es sich fix und fertig hergestellt aus den Medien ab und paßt sich ihm an. Nichts ist wahrer, als das, was andere über einen erzählen.

Nehmen wir ein Beispiel. Was haben wir gelacht, als im Dezember der Schock der Becker-Trennung dadurch kompensiert wurde, daß sofort die möglichen neuen Freundinnen präsentiert wurden, Sabrina Setlur auf Platz Eins. Bloß weil Barbara schwarz ist, mußte eine (hypothetische) Neue auch schwarz sein, und weil Boris prominent ist, mußte die (immer wahrscheinlicher werdende) Neue es auch sein. Nun mußte man nur kurz im Archiv wühlen, wer denn mit den Parametern „prominent“ und „schwarz“ gerade frei war. Dieser Algorithmus erzeugte dann das Ergebnis „Sabrina Setlur“. Ein wegen seiner Einfältigkeit lächerlicher Gedankengang. Jetzt sind sie aber im Liebesurlaub in New York. Uns stockt der Atem. Sind die investigativen Journalisten so gut, daß sie tatsächlich immer die Wahrheit erfahren? Vielleicht, aber die Bemerkung von Boris, daß er Sabrina erst seit Dezember näher kennt, legt etwas anderes nahe. Die Information war zunächst so exklusiv, daß nicht einmal er davon wußte. Und als er es dann las und sah, glaubte er sofort daran und handelte, als hätte er es schon immer gewußt.

Auch die Schwängerung von Angela Ermakowa muß demnach durch Herrn Becker vonstatten gegangen sein, ob nun mit geraubtem Samen oder nicht. Der Vaterschaftstest in London war dann auch nur ein Routinetermin, bevor es weiter zum New Yorker Liebesnest ging. Die normative Kraft des Fiktiven machte aus Anna eine potentielle Millionenerbin. Man dementiert nicht mehr, weil das ja die öffentliche Bestätigung einer Behauptung ist, sondern man verifiziert. Wenn die Verifikation schief laufen sollte (die Behauptung also widerlegt wird), umso besser, wenn sie gelingt, steht man nicht mehr als Heuchler da, sondern als ein nüchterner Bewältiger. Herr Beckenbauer kann’s, Herr Becker hat es gerade gelernt, Herr Jolig dilettiert noch.

Ein noch schöneres Beispiel dafür, wie Prominente versuchen, zu der Exklusivität ihrer Person wieder Zugang zu bekommen, konnte man jetzt bei der Berichterstattung über die amerikanische Football-Meisterschaft, der Superbowl, erleben. Die Fernsehaufnahmen zeigten, wie die Spieler der Baltimore Ravens in Florida aus dem Flugzeug stiegen und alles mit ihren eigenen Videokameras abfilmten. Man würde denken, daß das doch überflüssig sei, weil Hunderte von Kameras im selben Moment auf sie gerichtet waren und sie sich selbst mittels Videorekorder zuhause aus jedem Blickwinkel bewundern könnten. Wir verstehen allerdings diesen Impuls, denn nur dieses eine Video, in dem man selbst sieht und nicht gesehen werden kann, ist das wahre Zeugnis der eigenen Exklusivität. Man muß sich ausschließen, um wieder zu sich selbst zu gelangen.

Eine weitere Bedeutungsverschiebung des Wortes „exklusiv“ sei abschließend noch erwähnt. Die Sendung mit diesem Namen hat eine Schwestersendung, die sich nicht beschränken will, sondern schnellstmöglich in alle Bereiche diffundieren möchte. Manchmal gibt es allerdings auch dort Exklusives, ein Interview zum Beispiel. So wurde vor einigen Tagen während der laufenden Sendung darauf hingewiesen, daß es ganz zum Schluß ein „Exklusiv-Interview“ mit Angela Ermakowa geben würde. Das Publikum harrte erwartungsvoll aus und konnte dann bewundern, wie ein freier Mitarbeiter von RTL ein Mikrophon an die Gegensprechanlage von Frau Ermakowas Mietshaus halten durfte, weil das sogenannte Model sie nicht hereinlassen wollte. „Exklusiv“ war also wortwörtlich zu verstehen. „Exklusiv“ kann allerdings auch „abgesondert“ bedeutung, und mit Fug und Recht könnte man ein solches „Exklusiv-Interview“ auch als eine Absonderung im umgangssprachlichen Sinn verstehen.

Bildquellen

  • The sun always shines on tv: Mathias Mertens