The sun always shines on tv

The Sun always shines on TV: Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert – Das große Abwerben bei den Privaten

Was zog Moderatoren wie Jörg Pilawa zur ARD? Und was zog Harald Schmidt eins zu Sat.1? Mathias Mertens ging dem auf den Grund (Folge #26 15. April 2001)

Er wird immer wieder beschworen, der „öffentlich-rechtliche“ Charakter des Fernsehens. In diesem Zusammenhang fällt dann gerne auch die Vokabel vom „Bildungsauftrag“, den diese Form des Fernsehens laut Gesetz hat. Der bildungsbeauftragte öffentlich-rechtliche Rundfunk darf auf dieser Argumentationsgrundlage dann auch Gebühren von der Öffentlichkeit verlangen, um die Mittel, die für die Volkspädagogik ausgegeben worden sind, erstattet zu bekommen. Der Feind einer solchen Kulturinstitution ist erklärtermaßen das Private Fernsehen, das besorgte Pädagogen wie Dieter Stolte oder Fritz Pleitgen nicht müde werden, zu kritisieren. In ihren Reden könnten Passagen stehen wie die, daß das kommerzielle Fernsehen eine „ununterbrochene Zusammenhanglosigkeit“ produziere, daß dort eine „geistige Leere der Programme“ herrsche und daß das Fernsehen doch eigentlich an der „Überwindung der Vermassung“ mitarbeiten solle. Solche Passagen könnten dort stehen, dürften es aber nicht, weil man die Redner sonst verklagen könnte, ein Plagiat begangen zu haben. Die paraphrasierten Argumente stammen nämlich aus Kritiken von Max Picard und Clemens Münster, die 1948 bzw. 1950 gegen eben jenes Fernsehen vorgebracht wurden, das sich heute öffentlich-rechtlich nennt, und gegen die Adolf Grimme in seiner Funktion als Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks 1955 den Anspruch setzte, gegen die Vermassung zu wirken. Was sich heute gerne als Qualitätsfernsehen definiert, das sich bewußt gegen die kommerzielle Abzocke und Verdummung der Zuschauer abgrenzt, regte 1953 den damaligen Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers zu dem schönen Telegramm an, in dem er schrieb: „Sah eben Fernsehprogramm. Bedaure, daß Technik uns kein Mittel gibt, darauf zu schießen.“

Daß man nach Etablierung des privaten Unrechtsfernsehens einige gute Leute an die neuen Sender verloren hat, schmerzt zwar, es läßt sich aber auch mit der kommerziellen Vernebelung und Korrumpierung durch Geld erklären. Statt in seriösen Sendern sich weiter selbst verwirklichen zu können und entscheidende Beiträge zur Erziehung des Menschengeschlechts zu leisten, wurden Leute wie Günter Jauch, Harald Schmidt oder Jörg Wontorra vom schnöden Mammon Geld geblendet und zu willenlosen Moderationsautomaten im Dienste der werbetreibenden Industrie umgepolt. Ihr Erfolg bei RTL und SAT1 gibt deshalb nicht ihnen Recht, sondern den öffentlich-rechtlichen Kritikern, denn großer Erfolg wird doch immer nur durch Einsatz von viel Schmiergeld und schneller, gehaltloser Unterhaltung erzielt. Qualität setzt sich langsam durch, hat wenig Zuschauer, wirkt dadurch aber langfristiger und nachhaltiger. Sendungen wie das leider eingestellte Zuschauen, Entspannen, Nachdenken wirken immer noch in unserem Bewußtsein und haben dafür gesorgt, daß „das Getränk dieser Schale ein Heiltrank“ wurde, wie es Adolf Grimme einst postuliert hat. Was, bitteschön, nimmt der Zuschauer denn mit aus Sendungen wie Stern TV, Harald-Schmidt-Show oder ran? Doch wohl nichts. Bei Na siehste!, Schmidteinander und der Sportschau haben diese Herren noch richtige Inhalte vermittelt und nicht nur Radau gemacht.

Es gibt in der öffentlich-rechtlichen Heiligenlehre auch einen Paulus. Er heißt Thomas Gottschalk und war dereinst der Schlimmste von allen Sündern. Man hatte ihm die Gnade erwiesen, die Oberaufsicht über den heiligsten Tempel des Qualitätsfernsehens, Wetten dass…?, innezuhaben. Und kaum trug der Heide Thoma das Goldene Kalb an der Tür vorbei, trat Saulus Gottschalk dieses Geschenk in den Dreck und rannte hinter Thoma her, um sich in dessen Etablissement an dickbrüstige Frauen auf roten Sofas zu delektieren. Doch irgendwann kämpfte sich durch sein vernebeltes Gemüt die Erkenntnis, daß es eine Chimäre war, der er diente, daß es dort nur falsches Leben gab und daß Seelenheil nur im richtigen Fernsehen zu finden war. Er schwor der Lehre des Heiden Thoma ab und kehrte reumütig zurück in den Tempel auf dem Lerchenberg, wo er seitdem die wahre Lehre verkündete und zum größten Prediger der Gemeinde wurde. Aus dem ungläubigen Thomas, dem Saulus im Dienste des Thoma, wurde der Paulus, der als reuiger Sünder mehr Freude erzeugte, als hundert brave Betriebsblinde zusammen. Denn auf Dauer setzt sich Qualität eben durch.

Die Ideologie der Abgrenzung gegen das Reich des Kommerzes scheint allerdings in letzter Zeit brüchig geworden zu sein. Diese Woche hat Jörg Pilawa die letzte reguläre Quizshow auf SAT1 moderiert. Er hört auf, weil er demnächst Aufgaben bei der ARD übernimmt. Jemand, der als Talkmaster einer Nachmittags-Proll-Radau-Sendung angefangen hat und dann das Plagiat eines „Steinzeitformats“ (O-Ton Günter Jauch über seine Sendung) leitete, ist nun die neue Hoffnung der altehrwürdigen Arbeitgemeinschaft der Rundfunksender Deutschlands. Was sind die Gründe? Vermutlich der Erfolg, den er mit der Quizshow hatte. Was ja eigentlich im konventionellen öffentlich-rechtlichen Denken fragwürdig sein müßte. Nur schafft man es trotz GEZ-Grundlage plus Werbeeinnahmen nicht, vernünftig zu wirtschaften, und also muß man ebenso kommerziell wie die Kommerziellen werden, um sich gegen die Kommerziellen absetzen zu können. Diese gewundenen Gedankengänge der Öffentlich-Rechtlichen sind leicht zu durchschauen und bedürfen keiner weiteren Diskussion. Uns können sie jetzt nichts mehr erzählen.

Viel interessanter ist die Frage, warum es Jörg Pilawa weg von den Privaten hin zum Verwaltungsmonster ARD zieht. Geld? Vielleicht, aber doch wohl eher unwahrscheinlich, denn es sollen doch die Privaten sein, die mit dem Geld um sich schmeißen, wohingegen die Öffentlich-Rechtlichen alles in den Bildungsauftrag stecken müssen. Zudem hat er ja gerade großen Erfolg gehabt, war also enorm wichtig für seinen Sender geworden, der deshalb keine Kosten und Mühen gescheut hätte, ihn zu halten. Viel wahrscheinlicher ist es, daß es Jörg Pilawa darum geht, endlich als seriöser Fernsehmacher anerkannt zu werden. Und seriös ist eben, so selbst die Denke eines privaten Unrechten, nur das Öffentlich-Rechtliche. Während ARD und ZDF inzwischen klammheimlich das Modell des Privatfernsehens als das überlegene anerkennen und sich daran orientieren, also auch deren Moderatoren haben wollen, streben die Ziehkinder des Privatfernsehens nach dem Eigentlichen, dem Ernsthaften, damit sie sich selbst ernst nehmen können und glauben, ernst genommen zu werden. Es läßt sich mit jemandem vergleichen, der nur solange in Titanic oder konkret gegen das verkrustete Bildungsbürgerfeuilleton der ZEIT oder der FAZ polemisiert, wie er noch kein Angebot von deren Redaktionen bekommen hat, für sie zu schreiben. Ist das Angebot da, sieht man in ganz schnell dort kluge, bildungsbürgerliche Artikel verfassen.

Jörg Pilawa ist nur das jüngste Beispiel einer Tendenz. Vor ihm gab es die noch spektakuläreren Wechsel von Reinhold Beckmann, Johannes B. Kerner und Ulla Kock am Brink, sowie den etwas leiseren von Andrea Kiewel. Allen gemeinsam ist, daß sie in ihren vorherigen Sendern ungemein erfolgreich und populär waren. Unter der Leitung von Reinhold Beckmann und der Mitmoderation von Johannes B. Kerner wurde ein neuartige Form der Fußballpräsentation, die Sendung ran geschaffen, wie positiv oder negativ man ihr auch gegenüber stehen mag. Ulla Kock am Brink gelang es mit der 100 Tausend Mark Show ein reißerisches Showkonzept zu vermitteln und die Dramatik eines Fernsehwettkampfes auch tatsächlich zu inszenieren. Andrea Kiewel gelang im Frühstücksfernsehen sich auch körperlich immer weiter auszubreiten und immer beliebter zu werden. Und was machen sie heute? Reinhold Beckmann setzte durch, daß er Alfred Biolek im eigenen Haus Konkurrenz machen darf, indem er dessen Sendung abkupfert und sich dabei sehr wichtig nimmt. Außerdem will er Wetten dass…? mit einem ebenso sehr wichtig genommenen Fälschungsversuch in Form der Guinness-Show den Rang ablaufen. Johannes B. Kerner soll im ZDF Alfred Biolek und dessen Konkurrenz Beckmann gleichzeitig Konkurrenz machen, während er so aussehen will wie die Harald-Schmidt-Show. Ulla Kock am Brink steht in einer weiteren, noch verklausulierteren Version der Quizfragen-Show herum, nur daß es sich hier um das ZDF handelt und man da eben nicht so einfach Geld verschenken will. Andrea Kiewel hat inzwischen abgenommen. Ihre Show wird auch abends im ZDF laufen. Es geht um irgend etwas.

Sind sie jetzt glücklicher als vorher? Johannes B. Kerner guckt viel ernster als früher, wenn er das Studio betritt. Sind ARD und ZDF zufriedener? Die Reden von Dieter Stolte sind schwärzer und kulturpessimistischer denn je zuvor. Sind wir Zuschauer begeistert von dieser Privatfernsehwerdung unserer GEZ-Organe? Schwer zu sagen, denn wir wissen gar nicht, was dort läuft, weil wir ja immer Wer wird Millionär? gucken. Innovatives Qualitätsfernsehen? Mit Kopien von Kopien kaum zu erreichen. Also nein. In allen Fragen. Es erinnert eher an die frühere Einkaufspraxis des FC Bayern München, der die Stars der anderen Bundsliga-Mannschaften wegkaufte, weil das durch die Schwächung der anderen zwangsläufig die eigene Position stärkte. Nicht absolut, sondern nur relativ. Die Debatte über die Jugendarbeit der Fußballvereine, die für die Misere der deutschen Nationalmannschaft verantwortlich ist, muß auch auf das Fernsehen übertragen werden. Bei Viva darf eine Fünfzehnjährige nach der anderen sich ausprobieren; erstaunlicherweise halten sie sich auch und entwickeln sich. Nicht daß das gleich innovatives Fernsehen sei, aber manchmal ist es unterhaltsamer, dem Nachwuchs beim Ausprobieren zuzuschauen, als den Senioren beim Festzurren ihres Pensionsanspruchs. Wir erinnern uns an eine Anke Engelke, die neben großen Sesseln im Jahreszeitenmuster im ZDF das Ferienprogramm ansagen durfte. Dieses Mädchen hat inzwischen Karriere gemacht. Allerdings nicht öffentlich-rechtlich.

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