Viel Spaß mit dem Gin des Lebens
Dieser Tage erschien bei mikrotext die Printausage des Lyribandes / Cocktailrezeptbuches Der Gin des Lebens von Stefan Adrian. Bei uns zu lesen: Das Vorwort des Autors.
Bei mikrotext erschien dieser Tage die Printausgabe von Stefan Adrians Buch Der Gin des Lebens. Das Buch ist der vermutlich erste Lyrikband der Welt, der auch Cocktailrezepte enthält – sozusagen was für den Kopf, was für den Gaumen und wieder den Kopf, nur anders. Wir publizieren hier das Vorwort des lohnenswerten Bandes.
Wie für viele hat auch für mich der Weg hinter die Bar als purer Nebenjob begonnen. Es war eine Möglichkeit, die Miete zu bezahlen. Ich hatte zuvor für ein Lifestyle-Magazin gearbeitet, und nachdem ich diesen Job im Elfenbeinturm gekündigt hatte, stand ich im Berlin der Nullerjahre und dachte: Was nun? Bücher schreiben, ja, aber wie finanzieren, ohne PR-Texte zu verfassen?
Somit bin ich einer derjenigen, wie es sie – glaubt man einschlägigen Kinoproduktionen – in Los Angeles und New York zu Hauf gibt: ein Kreativer, der vom Schreiben leben will und in den Strudel der Nacht gezogen wird. Wobei: Dort landet man auch nicht durch Zufall. Man muss eine Affinität zur Nacht haben. Man muss ihre Unberechenbarkeit mögen und ihre Unruhe zu schätzen wissen. Und das tut man, wenn man – so ehrlich muss man zu sich sein – nicht beim ersten Sonnenschein den Körper durchstreckt und die Joggingschuhe schnürt.
Denn natürlich wird man oft gefragt: „Warum arbeitest du in einer Bar?“ Die Wahrheit ist, es gibt viele Gründe, diesen Job zu machen. Schreiben ist aufgrund seiner Natur eine recht intime Sache, darüber hinaus mit nicht wenigen Zwiegesprächen verbunden. Ich habe irgendwann erkannt, was ich an der Arbeit hinter dem Tresen liebe: Ich stelle Drinks mit der Hand her. Das können an einem Abend ziemlich viele sein, aber es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als wenn die Nacht an ihrem Höhepunkt ist. Der Laden brummt, die Menschen haben den Alltag vergessen, die Musik drückt, die Drinks fliegen. Aaah, der Flow! Es ist vielleicht der Zustand, den Surfer ihre perfekte Welle nennen.
Es ist diese Handarbeit, die heute auch vielen fehlt. Deswegen laufen krummrückige Urbanisten, die ständig vor Bildschirmen sitzen, in den Wald, um freiwillig Holz zu hacken, oder verbringen ein paar Tage auf der Alm, um Käse herzustellen. Damit sie sich spüren. Damit sie für ein paar Momente der digitalen Dauerverfügbarkeit und der unhaptischen Schaffenswelt entfliehen. Mein Zustand nach einem tollen Abend hinter dem Tresen: kompletter innerer Frieden. Ich spüre mich ziemlich gut. Manchmal jeden Knochen.
Eine andere, wichtige Sache, die ich gelernt habe: Man geht in eine Bar wegen der Getränke, aber man kommt wieder wegen der Menschen. So begann ich, wöchentliche Newsletter an Freunde zu verschicken. Sie waren manchmal auf einen tagespolitischen Anlass bezogen, manchmal nicht, aber alle bestanden im Kern aus einer Art gereimten Kalauer, der als Drink des Tages endete. Das kommt davon, wenn man als Kind zuviel Wilhelm Busch liest.
Die Newsletter funktionierten auch als Rezeptur-Anleitung, aber sie sind stets ohne jegliches Kalkül entstanden. In keinster Weise hatte ich vor, ein Buch daraus zu machen. Es ging mir schlichtweg darum, der Großstadt mit der ihr eigenen Unverbindlichkeit einen Abend entgegenzusetzen, an dem sich die Leute kannten. Nebenbei bemerkt bekam auch mein Leben dadurch eine Struktur. Denn egal in welcher Stimmung ich die Bar betreten habe – ob melancholisch, müde oder euphorisch –, wenn die Tür aufgeht und ein Gast eintritt, ist das nebensächlich. Das ist die Verlässlichkeit der Nacht.
Ich hatte aber vor allem das Glück, Leute kennenzulernen, von denen ich gelernt habe; Kollegen, von denen ich mir Dinge abgeschaut habe (Yes, I´m looking at you, Rapha, Julian & Marc); Bartender in anderen Bars, die ich durch Besuche oder das Schreiben getroffen habe und die sich mit dem Thema auseinandersetzen wie Köche mit Essen. Und die ihr Wissen auch teilen. Denn darum geht es ja bei Cocktails: Geschmäcker und Aromen miteinander zu verbinden.
Auch zu Hause sind Cocktails eine wunderbare Sache. Man kann seinen Freunden zum abgehangenen Rindersteak natürlich die seltene Bordeaux-Flasche oder einen Muskateller als Aperitif vor die Nase stellen. Oder eben einen Negroni, einen Klassiker aus Campari, Gin und Wermut. Mit gar nicht so viel Aufwand, mit Hingabe und mit dem richtigen Equipment kriegt man hervorragende Sachen ins Glas, die wesentlich mehr nach Gastgeberfreude aussehen, als einen plumpen Korken aus einer Flasche zu ziehen. Cocktails sind heute eine ganz andere Nummer als die übersüßten Farbbomben der 1970er oder das, was sich hinter den unverwüstlichen Sex-on-the-Beach-Angebotstafeln in Fußgängerzonen verbirgt. Das Spirituosenangebot befindet sich auf einem nie zuvor gesehenen Level. Die Szene ist lebendig und experimentierfreudig wie nie. Cocktails sind eine große Spielwiese, die man auch zu Hause betreten kann.
Hat man einmal Gefallen an dieser gefunden, will man von ihr auch nicht mehr runter. Ich richte meine Reisen heute nach der Tatsache, ob es an dem ausgewählten Ort interessante Bars gibt, und beim Trödler schaue ich als erstes ins hinterste Regal, ob nicht zufällig eine alte, verstaubte Flasche rumsteht, die ein Schatz sein könnte. Tut sie natürlich nicht, denn Trödler sind ja nicht blöd. Aber egal, ob ich heute mal mehr oder mal weniger schreibe, Drinks gehören dazu.
Viel Spaß mit dem Gin des Lebens.
Stefan Adrian: Der Gin des Lebens
84 Seiten, Taschenbuch (Pocketformat) mit 36 Rezepten, Spirituosenliste und Mixing-Grundkenntnissen
ISBN 978-3-944543-35-2
8,99 EUR
Bildquellen
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