Was ist Spülsexismus? Oder: Der sieht das einfach nicht

Die Frage nach dem Abwasch ist auch eine Machtfrage. Unsere Autorin nennt das «Spülsexismus». Hier erklärt sie, was das ist.

Dieser Artikel erschien zu erst bei The Clits Are Alright.

Es gibt viele Formen der Diskriminierung. Verbal oder körperlich, offen, strukturell – unsere Vorstellungen der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau greifen in jeden Bereich des Lebens ein. Seit vielen Jahren begegnet mir jedoch regelmäßig eine Form des Sexismus, die –soweit ich weiß – noch keinen Ausdruck in der Sprache gefunden hat. Das ist schade, denn Worte sind wichtig. Sie geben uns Macht. Das klare Bestimmen einer Situation, ihre Zusammenfassung in ein Wort oder einen Ausdruck hilft dabei, unsere Erfahrungen zu strukturieren und den Fokus von uns als Individuum auf einen verallgemeinerbaren Vorgang zu abstrahieren. Kurz: Wir stellen fest, wir sind nicht allein.

Der Magische Dip

Was also soll Spülsexismus sein? Ich bezeichne damit folgendes Phänomen: Eine geschlechtergemischte Gruppe von Personen unternimmt irgendeine Aktivität. Sie fahren in eine Ferienwohnung, machen eine Party, besetzen ein leerstehendes Haus oder planen den Umsturz des Systems. Wie auf magische Weise hat Stefanie einen Dip gemacht. Caroline wischt den Tisch ab. Jens dagegen sucht die richtigen Schrauben für die Barrikaden. Torben sitzt in der Ecke und liest Judith Butler.

Einzeln gesehen ist nichts davon verwerflich. Niemand hat Caroline befohlen den Tisch zu wischen oder sie körperlich davon abgehalten auch nach Schrauben zu suchen. Keiner hat zu Torben gesagt «Du solltest sitzen bleiben, denn du bist ein Mann und hast in der Küche nichts zu schaffen». Würde man das zu Torben sagen, würde er sicherlich auch lauthals protestieren. Und natürlich gibt es auch Frauen, die Schrauben suchen und Männer, die von sich aus kochen wollen. Trotzdem verläuft die Trennlinie der Aufgabenverteilung so häufig entlang der klassischen Geschlechterrollen, dass es erwähnenswert scheint, wenn es nicht passiert.

Man macht das halt noch eben so mit

Ich beobachte immer wieder mit Faszination, wie einige Männer es seelenruhig sitzen zu bleiben, während um sie herum der Tisch gedeckt wird. Ich finde es sogar ein wenig bewundernswert. Denn ist es auch nicht so, dass man unbedingt die Unterstützung dieser zwei Knaben bräuchte, die da auf dem Balkon sitzen, rauchen und über Philosophie schwadronieren. Man kann nicht sagen «Siehst du nicht, dass ich Hilfe brauche?» Denn mit Caroline, Stefanie und Jens (der erst etwas hilflos in der Gegend stand und dann fragte: «Soll ich was machen…?») sind wir schon mehr als genug.

Das Problem am Spülsexismus ist, dass er einfach irgendwie passiert. Und nicht nur das: Er passiert unter Freund*innen. Also unter Leuten, die man eigentlich recht gern hat. Deshalb wischt man ja den Tisch oder bringt Dip oder räumt die Spülmaschine ein: Man möchte, dass alle eine gute Zeit haben, man will nicht auf einem dreckigen Tisch essen und es macht einem ja auch nicht so viel aus, das eben noch mitzumachen.

Letztlich entsteht hierdurch aber auch ein Machtungleichgewicht. Wenn man sich mit Frauen* über das Zusammenleben mit Männern* unterhält, hört man nicht selten einen bestimmten Satz: «Der sieht das einfach nicht». Das ist nicht unbedingt als Anschuldigung gemeint, sondern eher der Ausdruck von Frust, der entsteht wenn jemand eine Woche lang über einen vollen Müllsack im Flur steigen kann. Im Grunde gibt es dann nur zwei Wege: 1. Man macht es eben doch selbst (auch wenn man sich vorgenommen hat es diesmal nicht zu tun) oder 2. Man weist darauf hin. Aber in beiden Fällen liegt die Verantwortung bei der aktiven und die Macht bei der passiven Partei.

Schlechte Nachrichten für Geisteswissenschaftlerdudes

Es geht eben nicht nur darum, einen faulen Kerl dazu zu bringen mal einen Lappen in die Hand zu nehmen. Es geht um unseren Geschlechterrollen-Default-Modus, der in diesen Gruppenstrukturen oft zum Vorschein kommt. Und dafür braucht es auch Männer*, die verstehen, dass es eben kein Zufall ist, wenn alle Frauen* in der Küche stehen und alle Männer* um den Grill. Oder eben nirgendwo, wo es etwas zu tun gäbe.

Also: Spülsexismus – es gibt ihn. Er nervt. Und keine*r kann so wirklich etwas dafür.

Aber: Schlechte Nachrichten für die super reflektierten Geisteswissenschaftlerdudes. Der Spülsexismus lässt sich nicht wegdiskutieren und auch nicht durch Reden lösen, sondern bedarf hauptsächlich Selbst-Sensibilisierung für solche Situationen. Idealerweise in Form von Dip und unaufgefordertem Abspülen.

Genau deshalb braucht es ein Wort dafür. Es hilft vom Einzelfall zu abstrahieren und in einen grösseren Kontext einzugliedern. Es stärkt den Rücken, um sitzen zu bleiben. Es stärkt den Rücken, um einzufordern. Es hilft Gewohnheiten zu brechen, die vermutlich durch elterliche und gesellschaftliche Erziehung zustande gekommen sind. Und es hilft von der Ebene einer individuellen Anklage wegzukommen. Denn die Formen von Diskriminierung sind vielfältig und nicht immer leicht zu erkennen. In diesem Falle sollten alle einmal ganz tief in sich gehen und fragen: Hab ich ein Spülproblem?