Wiener Hofreitschule:„Höhö, Milchschimmel!“

Wir bekamen vor einiger Zeit ein Rezensionsexemplar von Das weiße Ballett zugeschickt, einer neuen Dokumentation über die Wiener Hofreitschule. Was tun, als Blogmagazin für Popkultur, mit einem Thema, das hochkulturiger und kulturkonservativer kaum sein könnte? Sarkastische Spaßrezension? Erotische Pferdeliteratur mit Hengstwitzen? Die popkulturelle Bedeutung der Hofreitschule suchen?

Eigentlich gibt es über diesen Film nicht viel zu erzählen. Außer, dass man es bei Das weiße Ballett nicht mit einer wirklich Dokumentation zu tun hat, sondern eher einem Versuch, die eigene kulturelle Bedeutung verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Um Fragen nach der Existenzrechtfertigung der Wiener Hofreitschule zu klären, zum Beispiel, die der Film ironischerweise zwar aufwirft, aber dann eben doch nicht wirklich beantwortet. Das weiße Ballett kann sich nämlich nicht für eine Geschichte über die Hofreitschule entscheiden, sondern will die Institution von allen ihren Seiten in gutem Licht zeigen. Herausgekommen ist ein Film von großer unfreiwilliger Komik – dank des krassen Anachronismus‘ der Hofreitschule beim Versuch, Tradition genauso aufrechtzuerhalten, wie sie schon immer war, ohne genau sagen zu können, was der kulturelle Mehrwert dieser Strategie ist.

„Der sieht mit seiner Uniform aus wie ein Polizist und nicht wie ein Typ von einem Gestüt“, findet meine Schwester.

In der Hofreitschule in Wien werden seit dem 16. Jahrhundert Lippizanerpferde in der klassischen Reitkunst trainiert. Ursprünglich tatsächlich eine „Hof-Reitschule“, hat die Hofreitschule heute einen touristischen und, durch die angegliederten Zuchtgestüte, einen kommerziellen Nutzen. 2001 wurde die Hofreitschule aus der öffentlichen Verwaltung ausgegliedert und ist mit einer eigenen Geschäftsführung selbst für ihre Finanzierung verantwortlich. Und vor allem dafür, ihre gesetzlich festgelegte Aufgabe der Erhaltung ihrer Tradition zu erfüllen. Von dieser Aufgabe erzählt Das weiße Ballett, nur leider nicht besonders schlüssig. Die Pferde als Akteure darzustellen, auf denen nur zufällig auch ein Mensch sitzt, ist ein Reflex, den nicht nur Das weiße Ballett hat. In einem Flyer für die Fürstliche Hofreitschule Schloss Bückeburg wird von den „schönsten Barockpferde[n] im zwanglosen Tanz“ gesprochen, sowie von „noblen Hengsten“. Die Dokumentation über die Wiener Hofreitschule beginnt mit der Erzählung eines kleinen Hengstfohlens, der darauf geprüft wird, „ob er geeignet ist für höhere Aufgaben“, „um nach sechs Jahren Ausbildung ein Star zu werden wie sein Vater“. In dieser Trope gehört es zur persönlichen Agenda eines Hengstes, das Beste Pferd im Stall der Hofreitschule zu werden.

„Ich verstehe nicht, wofür die Schulsprünge da sind, außer für das absolute Gehorsam über das Pferd“, sagt die Schwester neben mir auf dem Sofa

Die Erzählung vom eigenmächtigen Hengst wird nicht durchgehalten. Schon in der nächsten Sequenz sind die Tiere nur noch Ware. Die Eignung der Pferde zum Reitschulpferd wird beurteilt wie auf einem Viehmarkt. Etwa zehn Tiere werden zur Ausbildung zugelassen, ungeeignete Hengste werden aussortiert und verkauft, von den Stuten ganz zu schweigen. Um die touristische Nachfrage und die Pläne einer zweiten Tournee-Equipe umsetzen zu können, wurde ein zweites Gestüt eingerichtet. Weil, so der zweite Geschäftsführer der Hofreitschule, „das Pferdematerial“ einfach nicht reiche. Die Karriereanforderung eines Hengstes scheint nicht zu sein, das eigene Potential zu gut wie möglich zu entfalten, sondern die immer gleichen Reitschulanforderungen optimal umzusetzen. Das Material hat zu performen, genauso wie die angeblich unterbesetzten Bereiter.

Die Geschichte der Hofreitschule wird im Film von einem Historiker durchweg als militärische erzählt. Entstanden aus dem damals in der Kriegsführung revolutionären Reiten in festen Formierungen, wurde die Hofreitschule während weiterer Kriege immer wieder von Funktionären des Militärs protegiert und gerettet, so die Darstellung des Experten. Diese Geschichte macht es nicht leichter zu verstehen, warum es die Hofreitschule noch gibt, wenn ihre eigentliche Funktion schon lange obsolet ist. Es hilft nicht, dass der gleiche Historiker davon spricht, dass die Hohe Reitkunst der Monarchie in Wien immer wieder als Wissenschaft „vermittelt“ wurde, um ihre Existenz zu sichern. Natürlich, die Reiterei hat einen ästhetischen Wert, der durchaus bewahrt werden wollen kann. Dem Film ist es aber nicht ganz gelungen, die Kontrolle von Pferd und Mensch als kulturellen Mehrwert zu erzählen – die Begründung, der moderne Reitsport schaue sich immer wieder nach der Hofreitschule als formelles Korrektiv „zu den Auswüchsen der Dressurreiterei“ (Zitat Geschäftsführerin) um, reicht nicht als Erklärung.

„Da war grade eine ganz süße Katze“ – Zitat Schwester

Am wenigsten hilft der Erzählung von der Qualität, dass die Hofreitschule eine der patriarchischsten Einrichtungen unter der zentraleuropäischen Sonne ist. Stolz wird berichtet, dass seit 2008 (!) auch Frauen die Ausbildung zur Reiterin in der Hofreitschule absolvieren dürften, und die augenscheinlich erste weibliche Auszubildende wird, flankiert von einem kicherigen männlichen Kompagnon, interviewt. Warum die Hofreitschule fünfzig bis hundert Jahre später dran ist als andere Institutionen wird mit keinem Wort erwähnt. Liegt vielleicht an der militärischen Vergangenheit. Genauso wenig wird erklärt, warum nur Hengste zur Reitschule zugelassen werden, während die „geeigneten“ Stuten eine Laufbahn als Gebährmaschinen absolvieren. Es drängt sich der Gedanke auf, die Tradition der Hofreitschule könnte auf dem Glauben an die höhere Wertigkeit von männlichen Pferden und Reitern beruhen, unabhängig davon, ob der Gedanke aktiv weitergetragen wird oder nicht. Ein erkennbares Umdenken gibt es immerhin erst seit acht Jahren.

Da – so leicht entsteht zu viel Text über einen Dokumentarfilm, der weder gut genug ist, um etwas Wesentliches von ihm zu lernen, noch schlecht genug, um sich über ihn lustig zu machen oder gar einen wirklich Verriss zu schreiben. Sollte man jedoch angeheitert eine Spielwiese voller weißer Pferde auf grünen Wiesen mit viel Wienerwalzer für den eigenen relativistischen Sarkasmus suchen, ist man beim „weißen Ballett“ genau richtig. Seit 2015 gehört die klassische Reiterei der Spanischen Hofreitschule in Wien übrigens zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Das hilft vielleicht mit der Existenzberechtigung.

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Das weiße Ballett

Die Spanische Hofreitschule
19,99€, 45 Minuten
ISBN: 978-3-8312-8181-7
Der Wissens-Verlag, Grünwald 2015

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