Zwangsgedanken: Den Tyrannen stürzen

Sally Winston und Martin Seif erzählen in ihrem Buch Tyrannen in meinem Kopf wie man mit Zwangsgedanken fertig wird.

Unter aufdringlichen Gedanken leidet wahrscheinlich jeder Mensch. Was, wenn ich der alten Frau da an der Bushaltestelle ein Bein stelle? Was, wenn ich den Typ da vorne vor die U-Bahn stoße? Was, wenn ich selber springe? Bei den meisten Menschen tauchen solche Gedanken auf, sorgen kurz für Irritation, vielleicht für Erheiterung, weil der Gedanke so abwegig ist, und dann geht das Leben einfach weiter. Nicht so bei Menschen, die unter Zwangsgedanken leiden. Dort nisten sich derartige Gedanken ein und verursachen Angst und Scham.

Wie ein Karussell, das sich immer weiter dreht

Betroffene fragen sich dann pausenlos, ob sie suizidal sind oder Gefahr laufen, jemandem etwas anzutun. Sind die Gedanken sexueller Natur, fragen sie sich, ob sie pervers sind. Die Gedanken sind wie ein Karussell, in dem man eigentlich gar nicht sitzen will, das sich aber immer weiter dreht und aus dem man glaubt, nicht entkommen zu können.

Man kann mit solchen Gedanken aber sehr wohl umgehen und sie beseitigen, ergo: aus dem Karussell aussteigen. Wie, das beschreiben die Psycholog*innen Sally M. Winston und Martin N. Seif in ihrem im Verlag junfermann erschienenen Ratgeberbuch Tyrannen in meinem Kopf. Zwangsgedanken überwinden – ein Selbsthilfeprogramm. Sie beschreiben, wie sich das Denken von Menschen mit Zwangsgedanken automatisiert hat und zeigen auf, welche inneren Stimmen dabei in den Vordergrund treten: der Bangemacher, der die Gedanken für wahr hält und immer wieder sein Mantra „Aber wenn…?“ bemüht, die Vermeintliche Beruhigung, die auf den Bangemacher einsteigt und mit Erklärungen versucht, ihn von den Gedanken abzubringen. Und zuletzt die Stimme der Vernunft, die durchschaut, was die Gedanken sind: nur Gedanken. Nach einer Liste der Dinge, die zu Zwangsgedanken taugen, stellen die Autor*innen Werkzeuge bereit, die Betroffenen beibringen, wie sie beim Auftreten der Gedanken reagieren können – und wie sie die Gedanken schließlich selbst entkräften.

Es sind nur Gedanken

Um die Gedanken zu beseitigen, müsse man sich ihnen bewusst aussetzen: Ein Kinderlied mit dem Inhalt der Gedanken betexten und pausenlos singen, die Wohnung voller Post-Its hängen, auf denen der Gedanke steht, ein Gedicht drüber schreiben, den Gedanken aufnehmen und ihn immer wieder anhören, sich vor den Spiegel stellen und den Gedanken aussprechen, in Endlosschleife. Je länger man sich seinen Zwangsgedanken bewusst aussetze, umso weniger bedrohlich würden sie am Ende.

Winston und Seif haben Tyrannen in meinem Kopf in lockerer, aber nicht anbiedernder Alltagssprache geschrieben, und so nehmen sie die (vielleicht gerade von Gedanken geplagten) Leser*innen ganz leichtfertig mit, veranschaulichen anhand von Anekdoten – und wiederholen dabei immer wieder ihr Mantra: Es sind nur Gedanken. Anders als in Fantasy-Romanen oder Science-Fiction-Filmen haben Gedanken keinen Einfluss auf die Wirklichkeit. Man kann die lächerlichsten, ekelerregendsten, abstoßendsten und abscheulichsten Dinge denken, ohne dass das etwas über einen selbst aussagt. Man ist nicht böse oder hat einen fiesen Charakter. Es ist dies wohl am wichtigsten bei der Lektüre dieses sehr hilfreichen Ratgebers sowie bei der Auseinandersetzung mit Zwangsgedanken selbst: Sich immer wieder bewusst zu machen, dass man kein schlechter Mensch ist, nicht verrückt, nicht hoffnungslos verloren. Man denkt einfach nur. Und das zwanghafte Denken kann man verlernen.

Sally M. Winston, Martin N. Seif: Tyrannen in meinem Kopf. Zwangsgedanken überwinden – ein Selbsthilfeprogramm
176 Seiten, 18 EUR
ISBN: 978-3-95571-720-9

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