Große Geschichten für gute und schlechte Tage

Hasenscheisse, die Liedermacher-Band aus Berlin und Potsdam, klingt auf ihrem vierten Studioalbum Dampferjazz gewohnt wunderbar abwechslungsreich. Martin Spieß hat es gehört.

So viel hatten wir erwartet von 2021, so viel erhofft, nur um enttäuscht zu werden durch einen versuchten Staatsstreich in den USA, dem Brexit, der in Kraft trat, und Corona, das mutierte, immer neue Todesfälle und weitere Lockdowns brachte.

Aber: Es gibt sie noch, die guten Dinge Neuigkeiten. Hasenscheisse sind mit ihrem vierten Album zurück: Dampferjazz heißt es, das erste Album, das sie seit ihrem letzten Studioalbum a-Moll (2012) veröffentlicht haben.

Und wie, als wollten sie uns für das Tal, das 2020 war, und für den mäßigen Start ins Jahr 2021 entschädigen, ist das Album gewohnt großartig: Mal klingt es jazzy (wie in Mein Bernhardiner), mal swingy (wie im titelgebenden Song Dampferjazz) und mal balladesk (wie in Frodo & Sam). Mal hat es etwas Punkiges (wie in Schlüpperpilot), in Paradies machen Hasenscheisse einen Ausflug in den Reggae und in Penny klingen sie beinahe düster wie The Smiths.

Mit jedem Song ein neues Genre

Dieser musikalische Abwechslungsreichtum ist und bleibt eine der großen Stärken der Band: wieso sich für einen einzigen Stil entscheiden, wenn man sich einfach mit jedem Song neu ausprobieren kann?

Auf Dampferjazz kulminiert diese Genre-Vielfalt im gleichnamigen (und unnötig zu erwähnen: ironischen) Song darüber, dass eine Band zu alt für Rock & Roll geworden ist und jetzt eben Dampferjazz macht: Kaffeefahrtmusik bei Kaffee und Kuchen, Oma und Opa Kasühlke im Publikum und der Käpt’n, der sich erkundigt, ob alles in Ordnung sei.

Fantastisches Songwriting

Kurioserweise ist der Sound immer unverkennbar Hasenscheisse, egal, bei welchem Stil sie sich gerade bedienen, und das liegt nicht nur an Westerngitarre und zweistimmigem Gesang. Es liegt vor allem an den Geschichten, die Sänger und Texter Christian Näthe erzählt. (Was man auch in Kleines sauberes Städtchen hört, dem Bonustrack, den Näthe über seine Heimat Potsdam geschrieben hat.)

Näthe ist, keine Frage, die andere große Stärke der Band, denn er ist ein fantastischer Songwriter: Er kann funny und philosophisch, emotional und elegisch – und immer sorgt er für Empathie mit seinen Figuren, (fast) immer ist er pointiert. Er regt zum Nachdenken (Frodo & Sam) und Mitfühlen (Penny) an, er scherzt und kalauert (Schlüpperpilot) und er ist politisch wie in Paradies.

Traum von einer gerechteren Welt

Und immer scheint dieser (linke Punker-) Traum von einer besseren Welt durch, in der es gerechter, freund(schaft)licher, solidarischer, weniger kapitalistisch zugeht – aber nie wirkt er pathetisch oder kitschig. Im Gegenteil, man kann gar nicht anders, als ihn mitzuträumen.

So diese bessere Welt auch nicht sicher ist, sicher ist nach Dampferjazz zumindest eines: egal, wie 2021 wird, Hasenscheisse werden mit ihrem neuen Album helfen, die miesen Zeiten besser zu ertragen – und die guten zu feiern.

Bildquellen

  • Foto_HS-1: Foto: Johanna Kerber