Kunst, Killer und Corona

Capitaine Roger Blanc zum achten: Cay Rademachers beliebter Ermittler stößt in Schweigendes Les Baux auf alte und neue Morde, Kunstliebhaber*innen und ein neuartiges Virus. Martin Spieß hat ihn gelesen – und findet ihn großartig.

Eine erfolgreiche Krimiautorin erzählte mal, dass sie auf einer Messe von einem begeisterten Leser angesprochen wurde: Er sagte, sie könne so gut schreiben, warum schreibe sie denn nicht mal was Richtiges?

Dass Kriminalliteratur keine richtige Literatur, sondern bloße Unterhaltung und damit weniger wert sei, dieses Vorurteil hält sich trotz so fantastischer Autor*innen wie Zoë Beck und Sonja Rüther, wie Frank Göhre und André Pilz – oder eben Cay Rademacher.

Der hat gerade mit Schweigendes Les Baux den achten Band seiner Reihe rund um den (Anti-) Helden Capitaine Roger Blanc veröffentlicht. Aus Paris in die Provence zwangsversetzt, weil er als exzellenter Korruptionsermittler einigen einflussreichen Leuten zu nahekam, lebt Blanc nun in einer alten Ölmühle, die er von seinem Onkel geerbt hat, und ermittelt vor der Kulisse von Olivenbäumen und Lavendelfeldern.

Gestohlenes Bild, ungewohnte Gefühle

Aber auch in der vermeintlichen Idylle der Provence geschehen Verbrechen: In Schweigendes Les Baux wird Blanc in eine Kunstausstellung gerufen, weil einem Gast die Kehle aufgeschlitzt wurde. Der stellt sich als Kunstdetektiv Patrick Ripert heraus, der im Auftrag eines Exil-Parisers ermittelt hat: Charles Féraud wurde ein Bild gestohlen, und Ripert sollte es wiederbeschaffen. Féraud hat sich nach Erfolgen in Paris in die Provence zurückgezogen und macht nun in Mandeln – ein lukratives Geschäft, aber auch eines, das langen Atem erfordert. Ob dort ein Motiv zu suchen ist? Oder wurde Ripert wegen seiner Ermittlungen im Fall des gestohlenen Bildes ermordet? Was auch der Grund ist: Blanc und seine Kollegen Fabienne Souillard und Marius Tonon müssen irgendwann feststellen, dass sie nicht weiterkommen. Ein neues, ungewohntes und entsprechend frustrierendes Gefühl.

Corona und ein Cold Case

Bei ihren Ermittlungen stoßen sie aber auch auf Altes: einen ungeklärten Fall, bei dem der Täter vor Jahren verschwand und seitdem nicht gefunden wurde – ob er sich in die Provence abgesetzt hat und dort untergetaucht ist?

Und dann ist da noch dieses aus China stammende Virus, das bedrohlich seine Finger nach der Welt ausstreckt – oder ist es doch nur grippeähnlich, wie Thierry Bazin, Arzt und einer der Verdächtigen, an einer Stelle sagt?

Rademacher bindet das Corona-Virus in die Geschichte so ein, wie die Menschen in der Welt es Anfang 2020 erlebt haben: „Ist doch gar nicht so schlimm, oder? Alles Panikmache! Nein, nicht genug Panik!“ Dass Schweigendes Les Baux nun im Sommer 2021 erscheint, in dem immer mehr Menschen geimpft werden und langsam, aber sicher ein Ende der Pandemie abzusehen ist, macht die Lektüre zu einem doppelten Vergnügen: Es ist nicht nur die (wie immer) fein erzählte Krimi-Handlung, die Spannung erzeugt, es sind nicht nur die Figuren, die echte Empathie, Sympathie oder Antipathie entstehen lassen, sondern es ist auch der reale Grusel einer Pandemie, die jede*r Leser*in am eigenen Leib erlebt – und die Millionen Todesopfer gefordert hat.

So viel ist klar (und sollte eigentlich unnötig zu erwähnen sein): Dass Kriminalliteratur keine richtige Literatur ist, das ist nirgendwo größerer Quatsch als bei Autoren wie Cay Rademacher und den Abenteuern von Capitaine Roger Blanc.

Cay Rademacher: Schweigendes Les Baux
dumont, 2021
Klappenbroschur, 416 Seiten
16 Euro