Großstadtlichter: Stadtspaziergang

Unsere Reihe Großstadtlichter. Heute über den Spaziergang in der Stadt. Und darüber, dass Unterwegssein das bessere Ankommen ist.

Wenn man neu in einer Stadt ist, besonders, wenn es sich dabei um eine große Stadt handelt, erkundet man sie am besten zu Fuß. In dieser natürlichen Geschwindigkeit begreift man geographische Zusammenhänge besser als im Bus oder auf dem Fahrrad. Außerdem entsteht eine persönlichere Verbindung zu jedem Quadratmeter, den man mit den eigenen Füßen erobert.
Mein kleines Büro, das ich mir erst seit wenigen Tagen mit einer Freundin teile und mein, mir nach eineinhalb Jahren noch immer neu erscheinende, Münchner Zuhause, sind laut Google Maps exakt 43 Spazierminuten voneinander entfernt.
Für mich stimmt das nicht. Ich lasse mich schnell ablenken, will in jede Gasse schauen, über den nördlichen Friedhof spazieren, dem Straßenmusiker zuhören und es gibt Gebäude in dieser Stadt, die so viel Kraft ausstrahlen, dass ich das Gefühl habe mir etwas Gutes zu tun, wenn ich sie minutenlang anstarre.
Zu meinem Arbeitstag gehören nun also insgesamt meist über zwei Stunden des Herumstrolchens in einer Stadt, die mir jeden Tag rasant vertrauter wird. Den Großteil meiner Aufmerksamkeit auf diesen Spaziergängen bekommen aber die Menschen dieser Stadt.
Ich sehe: Eine alte Dame mit weißumhäkeltem Sonnenschirm unter bewölktem Himmel, einen grimmigen Kellner, der die Tische vor einem italienischen Restaurant mit Blumenvasen schmückt, neben ihm auf dem Gehweg ein blasenwerfender Klumpen rohen Pizzateigs.
Eine Kindergartengruppe mit Bollerwagen macht einen Ausflug in den Biergarten, zwei Raben streiten sich um eine essbare Suppenschüssel, eine rollerfahrende Vierjährige mit Pagenkopf macht Sirenengeräusche, eine Mutter hält sich die Ohren zu, eine junge Frau fährt Rad, versteckt ihre Glatze unter einem Dreieckstuch, plappert aufgeregtes, schnelles, lustiges, ein junger Mann hört zu, zwei unentspannte Freundinnen sitzen auf einer Parkbank, die Füße der rechten schmerzen mehr als die der linken.
Meine Füße schmerzen nicht. Es ist, als wäre unterwegs zu sein das beste Ankommen.

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