Interviewreihe „Davon leben“ – Interview mit Alexandra Eyrich (Märchenpädagogin und Erzählkünstlerin)

Heute in unserer Interviewreihe Davon leben: Die Märchenpädagogin und Erzählkünstlerin Alexandra Erych über die Bedeutung von Märchen, angemessene Bezahlung und über den Unterschied zwischen Vorlesen und Erzählen.

Wann und wo wurdest du geboren?

5. Februar 1980 in Bamberg.

Bist du dort auch aufgewachsen? Schule, Abitur?

Ja, ich bin eine echte und auch leidenschaftliche Bambergerin. Kindergarten, die komplette Schulzeit, mein Fachabitur, meine erste Ausbildung und auch ein berufsbegleitendes Studium hab ich hier gemacht.

Was war das für eine Ausbildung? Hatte die schon etwas mit deinem späteren Beruf zu tun?

Nach der zehnten Klasse hab ich eine 5-jährige Ausbildung zur Erzieherin gemacht. Bis heute würde ich sagen, dass das eine ganz großartige Basis für meinen beruflichen Werdegang, aber auch für mich persönlich darstellt. Beruflich, weil ich mich mit der Sprache von Kindern, Jugendlichen und Familien theoretisch und praktisch intensiv beschäftigen konnte und innerhalb meiner heutigen Tätigkeiten noch von so manchem Input profitiere. Und persönlich, weil man im Alter von 17 bis 22 Jahren auch auf ein bisschen Unterstützung von inspirierenden, kritischen, menschlichen, herzlichen und ehrlichen Erwachsenen angewiesen ist. Das hat das damalige Lehrerkollegium ganz wunderbar erfüllt! Dass ich sicherlich auch damals schon ein ziemlich kreativer Kopf war und mir die kreativen Ideen nicht ausgingen, ist den Lehrern nicht entgangen. Aber anstatt mich zu bremsen, haben sie mich oft ausprobieren lassen! Einer dieser Lehrer brachte es mal ziemlich deutlich auf den Punkt, indem er sagte: „Wissen Sie, manchmal geht es nicht anders, als Sie ein bisschen zu bremsen. Aber es gibt auch Situationen, in denen wir Sie einfach machen lassen, weil wir merken: ‚Sonst platzt sie!’“ (lacht) Parallel zu der Ausbildung hab ich mich zur Märchenerzählerin ausbilden lassen – Märchenpädagogik und die damit einhergehende Professionalität kam aber erst ein bisschen später!

Kannst du mir erklären, wie man sich zur Märchenerzählerin ausbilden lässt? Geht das in Richtung Sprecherausbildung?

Der Begriff „Märchenerzählerin“ ist mittlerweile ein bisschen überholt, da sich bei den professionellen Erzählkünstlern längst nicht alles mehr auf Märchen beschränkt. Da werden Mythen, Geschichten, Schwänke und allerlei Geschichtsstoffe mehr erzählt – nicht gelesen! Ich habe meine Ausbildung 1998 in Nürnberg absolviert – jedoch gibt es die Institution gar nicht mehr. Über die Jahre gab und gibt es ganz verschiedene Anbieter allerorts im deutschsprachigen Raum, seit diesem Jahr gibt es eine dezentrale Ausbildung vom Verband der Erzählerinnen und Erzähler e.V. (VEE), die inhaltlich ganz hervorragend aufgebaut ist. So eine dezentrale Ausbildung ergibt wirklich Sinn, da sich hier ganz tolle DozentInnen und ErzählerInnen miteinander verbinden und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Konkret geht es um die Stimme, Dramaturgie, theoretische Hintergründe der Geschichtsstoffe – z.B. Symbolik, Metaphern –, Bühnenpräsentation, Honorar-Angelegenheiten, praktische Übungen bis hin zu drei möglichen Schwerpunkten: Bühne, Pädagogik, Heilendes Erzählen. Heute bin ich zertifiziert als professionelle Erzählerin durch den VEE.

Wieso hast du „nicht gelesen“ so betont? Wirst du als Erzählerin oft mit dem Vorurteil konfrontiert, du seist Vorleserin?

Ja, allerdings! Es kommt sogar manchmal vor, dass in einer Pressemitteilung „… gelesen von“ oder „Lesung“ steht. Besonders skurril sind manche Situationen, in denen sich der Veranstalter nach dem Bühnenprogramm bedankt fürs Vorlesen – obwohl er die ganze Zeit anwesend war. Das ist wirklich eigenartig, zumal ich zum Vorlesen keine Ausbildung bräuchte und dann auch die Frage wäre, ob man den Begriff „Professionalität“ dann überhaupt verwenden könnte oder dürfte.

Ich verstehe deine Frustration, aber als Schriftsteller, der mitunter aus seinen Büchern liest, würde ich dir widersprechen: Gutes Lesen oder Vorlesen ist absolut professionell. Es gibt KollegInnen, denen täte eine Vorlese-Ausbildung ganz gut.

Ja, gutes Vorlesen will auch gelernt sein, aber mit Erzählkunst ist es eben nur schwer zu vergleichen. Und Frustration ist ein großes Wort. Manchmal schüttelt man darüber eben den Kopf, manchmal amüsiert es einen. Die lieb gemeinte „Märchentanten“-Bezeichnung ist unangenehmer. Aber zumindest revidiert sich das bei mir spätestens, wenn mich jemand in irgendeinem Kontext erlebt hat. Manches kann man eben nur aufheben, indem man nicht endlos darüber diskutiert oder versucht, es zu berichtigen, sondern indem einfach seine Arbeit ordentlich macht. Das ist für mich oft Statement genug.

Wenn du hier Arbeit sagst, meinst du, auf der Bühne zu stehen. Aber es gibt noch den pädagogischen Teil, den du vorhin erwähnt hast.

Die Märchenpädagogik, genau. Da haben sich für mich quasi beide Berufsfelder miteinander verknüpft. Ich bin sowohl professionell in dem einen, als auch im anderen Bereich. Für mich war es irgendwann ein klares Muss, das zu verbinden. Das heißt konkret, dass ich zunächst ganz klassisch mit verschiedenen Stücken auf der Bühne und andererseits als Fachdozentin im Seminarkontext stehe, bis hin zum Kommunikationscoaching anhand von Märchen.

Kommunikationscoaching anhand von Märchen?

Man nehme ein Märchen, die darin enthaltene Symbolik und metaphorischen Bilder und übertrage diese auf Teamsituationen und Kommunikationsmodelle. Anhand dessen erkennen Teams oftmals verschiedene Knotenpunkte innerhalb ihres Alltags und kommen leichter ins Gespräch und auch in die Selbstreflexion.

Hatte dein vorhin erwähntes Studium auch einen derartig kommunikativen Schwerpunkt?

Ich habe, während ich noch als Erzieherin arbeitete, ein berufsbegleitendes Studium zur Fachberaterin Soziale Kompetenz (Psychotherapie HPG) gemacht. Hinsichtlich Kommunikationsmethoden, therapeutisch angelegten Imaginationen und auch hinsichtlich der Zielgruppen benutze ich diese Qualifikation ebenfalls bis heute innerhalb meiner Angebote.

Wie sind denn Kunst und Pädagogik zeitlich und finanziell gewichtet? Was braucht mehr Zeit, was bringt mehr Geld?

Generell gilt für mich: Wer zuerst fragt, kriegt mich auch zuerst. Das heißt: Es gibt Jahre, da kann ich im Nachhinein sagen, die Bühne hat überwogen, und andere, da war ich mehr mit lehrenden Tätigkeiten befasst. Jedoch muss das Honorar stimmen. Die Auftraggeber erwarten von mir eine bestimmte Leistung mit einem höchst angelegten Engagement. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass ich wirklich sehr fleißig und diszipliniert bin, denn schließlich mache ich hier meinen Traumjob – und den gibt es eben nicht für lau auf dem Marktplatz der Eitelkeiten. Natürlich gibt es Aufträge, da ist man auch ersetzbar. Aber mein Name garantiert in mancherlei Hinsicht auch dafür, dass es bestimmte Dinge eben nur bei mir gibt. Und da hat dann der eigene Name einen Markenwert, den ich mittlerweile auch bezahlt bekomme. Egal in welchem Bereich.

Hat es lange gedauert, bis du davon leben konntest?

Davon leben konnte ich relativ schnell, gut davon leben so nach etwa drei Jahren und sehr gut davon leben nach etwa sieben Jahren. Deswegen trifft der Teaser „dort wo es wenig Geld gibt“ auf mich auch nicht mehr zu.

Da du deine Arbeit eben deinen „Traumjob“ genannt hast, erübrigt sich die Frage, ob es das wert war, oder?

Ja, die Frage erübrigt sich. Allerdings war da auch eine gehörige Portion Naivität dabei, ich wusste vieles nicht und musste mich erstmal mit diesem Haifischbecken auseinandersetzen. Es war nicht die reine Kreativität, die mich bis hierhin gebracht hat, ich musste mich auch zu einer Geschäftsfrau entwickeln. Das kreative Potential alleine reicht für diesen Weg nicht. Dieser Anteil ist prozentual niedrig. Ich würde sagen: Kreativität fünf Prozent, Arbeit und Schweiß 95 Prozent. Aber manchmal ist es ja auch ganz gut, dass man nicht alles vorher weiß, sonst würde man manches vermutlich nicht tun. Aber nein, ich bereue gar nichts und bin ein beschenkter, dankbarer und glücklicher Mensch.

Gab und gibt es auch Phasen, in denen du unglücklich bist? Enttäuscht über Misserfolge? Von Zweifeln geplagt, ohne Motivation? Und wenn ja, was machst du dann?

Klar gab oder gibt es schwierige Momente. Ich hab einen überwiegend absolut subjektiv bewerteten Beruf. Allerdings muss man sagen: Kritik hilft. Ich glaube unterm Strich sind mehr Leute an zu viel Lob gescheitert, als an zu viel Kritik. Solange das Ganze konstruktiv ist, kann ich damit gut umgehen. Jemanden, der einem einfach nur an die Karre fahren will, erkennt man mit der Zeit sehr schnell und das muss man dann einfach mal aushalten können. C’est la vie. Zweifel hab ich tatsächlich nicht, da steht mir meine Kreativität immer wieder zuverlässig zur Seite. Wenn das eine nicht geht, dann mach ich eben was anderes draus. Das Interessante ist in der Regel nicht, dass es ein Problem gibt, sondern wie man damit umgeht. Und auch da heißt es: Kreativ werden. Und wenn ich doch mal einen Durchhänger hab, sind es für mich solche Dinge wie Familie, ein sicheres soziales Netz, hervorragende persönliche Berater beruflich und privat und natürlich auch eine gute Portion Urlaub, die mich ausgleichen, zur Ruhe bringen und neu kräftigen.

Bildquellen

  • alexandra erych: Anny Maurer