Tattoofrei: „Tattoonadeln aus Igelstacheln“

Mit der Satire ist es im Internet nicht immer leicht. Martin Spieß hat sich mit dem Betreiber der Seite „Tattoofrei – Es ist schön, keine Tattoos zu haben“ zu einem Gespräch über Humor, Satire und Missverständnisse getroffen.

Chris H. ist Gründer und Betreiber der Facebookseite Tattoofrei – Es ist schön, keine Tattoos zu haben, die sich ironisch über Tattoos und Tätowierte lustig macht. Ein Gespräch über Vorurteile, absurden Humor und Satire.

Wie kamst du auf die Idee zu der Seite?

Ich bin zufällig auf die Seite Your tattoos make you a horrible mother gestoßen dann habe ich gesehen, dass es in Amerika sehr viele solcher Anti-Tattoo-Seiten gibt. Und ich dachte mir, dann wird es Zeit, so was auch mal in Deutschland zu starten. Nur wenige Stunden nach dem Erstellen ging es auch schon los.

Die Seite ist Ende Februar dieses Jahres bei Facebook online gegangen und hat mittlerweile über 140.000 Likes. Hast du damit gerechnet oder hat dich der Erfolg überrascht?

Gerechnet hätte ich damit nie. Ich dachte, dass ich allerhöchstens über 10.000 komme. Aber es freut mich, dass es so gut ankommt bei den Leuten.

Obwohl einen die Satire ja wirklich anspringt – wie hoch ist denn der Anteil derer, die die Seite falsch verstehen? Die denken, du meinest das ernst?

Etwa ein Drittel. Ich habe die Beiträge immer unrealistischer gestaltet und an den Haaren herbeigezogen oder mir irgendwas total Beklopptes ausgedacht, in der Hoffnung, dass es jetzt alle verstehen. Aber Fehlanzeige, es wurde immer schlimmer.

Kannst du ein paar Beispiele nennen?

Gleich einer der ersten Beiträge war, dass Tattoonadeln aus Igelstacheln hergestellt werden oder Tattoomaschinenmotoren aus Bienen. Mein persönlicher Favorit ist das Bild von einem Pferd und einem Zebra: über dem Pferd steht „Pferd ohne Tattoo“ und über dem Zebra „Pferd mit Tattoo“. Die sind so bescheuert, dass es jedem auffallen müsste. Aber nein.

Wie fühlt sich das an? Gut und schlecht, oder? Gut, weil es so absurd ist und die Leute sich drüber aufregen – aber auch schlecht, weil es traurig ist, dass so viele Leute das nicht als Satire identifizieren?

Ein wenig von beidem. Gut, wenn ich etwas poste, dass die Leute feiern und das ihnen gefällt. Traurig, dass dann Leute auftauchen, die es für bare Münze nehmen und sich aufregen. Aber ohne die wäre es eben nur halb so lustig. Die sind irgendwie auch Hauptbestandteil von Tattoofrei.

Wie viele Nachrichten von Leuten, die sich aufregen, bekommst du am Tag?

Puh, also ich lese wenig davon, sonst wird man verrückt. Meistens, wenn ich in der Bahn sitze oder abends vorm Schlafengehen. Pro Tag erhalte ich etwa hundert bis zweihundert Nachrichten. Davon sind viele aber auch fake, also Leute die sich irgendwelche Geschichten einfallen lassen, bloß um gepostet zu werden. Wenn ich allerdings selbst drüber lachen muss, dann poste ich sie auch. Es gab aber auch schon Tage, da hab ich über dreihundert Nachrichten erhalten, zum Beispiel kürzlich bei dem Pflegerthema. Insgesamt befinden sich im Postfach geschätzt noch rund 10.000 ungelesene Nachrichten.

Du hast den Begriff „Reinhäuter“ geprägt und meinst damit Menschen ohne Tätowierung. Du spielst ganz absichtlich mit der Nähe zu rechten Terminologien, oder? Weil die ja ernst meinen, was du nur zum Zwecke der Satire sagst.

Eigentlich gar nicht. Das Wort ist zufällig entstanden. Ich habe zu Anfangszeiten mal in einem Beitrag geschrieben, dass jeder glücklich mit seiner von Gott gegebenen reinen Haut sein solle. Und dann kam es direkt: „Reine Haut“, „Reinhäuter“ und so weiter. Der Gegenbegriff „Tintling“ für einen Menschen mit Tattoos kam aber von einem Fan der Seite, den finde ich aber auch sehr gut.

Du bleibst anonym, auf der Seite steht kein Name, kein Alter. Gab es denn Anfeindungen gegen dich, die dich dazu bewogen haben? Ich kann dich beruhigen, ich bin wirklich Autor für Zebrabutter. Das Interview ist echt. Es ist kein elaborierter Versuch, dich zu finden.

(lacht) Ich hab direkt nach der Anfrage fürs Interview dein Facebookprofil gecheckt und dich gegoogelt. Sonst hätte ich gar nicht zugestimmt. Aber nein, bei Tattoofrei werde ich lediglich beschimpft. Dennoch gibt es genug Verrückte auf der Welt. In meinem Freundeskreis mache ich zwar kein Geheimnis draus, aber auf der Seite versuche ich schon, anonym zu bleiben.

Was meinst du ist der Grund, weshalb so ein veraltetes Klischee – „Tätowierte sind alle kriminell“ – die Leute 2015 noch so aufregt? Du und ich sind ja – spoiler alert, liebe Leser! – beide ziemlich doll tätowiert, müssen uns also wie jeder tätowierte Mensch regelmäßig dumme Sprüche anhören. Aber so Sachen wie auf deiner Seite habe ich noch nie gehört.

Ich glaube das liegt an den Menschen, jeder ist anders. Wenn mir jemand so was sagen würde, ich würde wohl drüber schmunzeln und mich gar nicht erst aufregen. Manche Menschen regen sich einfach über alles auf, können nicht über sich selbst lachen und anstatt einen Post dann einfach zu ignorieren, schreiben sie mir ihre Lebensgeschichte. Furchtbar. (lacht)

Ist das auch eine Frage der Bildung? Tattoos sind ja nun wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Polizisten, Krankenschwestern, Bankberater – es gibt da nicht mehr das Stigma, das Tätowierungen noch in der Generation unserer Eltern hatten.

WAS? Tätowierte Polizisten? Jetzt fühle ich mich aber nicht mehr sicher. (lacht)

Im Ernst: ich glaube mit Bildung allein hat es nichts zu tun, mir haben auch Leute mit Abitur geschrieben und die Nachrichten waren grammatikalisch korrekt. Aber auch die haben die Seite nicht wirklich verstanden. Es muss also an den Tattoos liegen. (lacht)

Ich merke: der Witz der Seite färbt auf dich ab.

Manchmal geht es mit mir durch. Tut mir leid. (lacht)

Ich kann mir gut vorstellen, dass das einen Großteil vom Spaß der Seite ausmacht: als selbst Tätowierter andere Tätowierte zu trollen und dann darüber zu feixen, was die alles ernst nehmen.

Ich habe einen Riesenspaß, manchmal ist es aber trotzdem deprimierend. Aber der Spaß überwiegt. Es freut mich auf jeden Fall, wenn ich die Fans der Seite unterhalten kann.

Dann wünsche ich dir, dass das weiterhin so bleibt.

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