Worte wie Waffen

Im Verlag mikrotext ist gerade das Buch Dieses Land gehört euch erschienen, das die ersten beiden Gedichtbände des irakischen Lyrikers Kadhem Khanjar vereint. Martin Spieß hat es gelesen.

Khadem Khanjar war Mitte zwanzig, als er 2015 mit befreundeten Dichtern die Kultur-Miliz gründete, ein Kollektiv, das Lesungen an Schauplätzen von Krieg und Zerstörung veranstaltet. „Wir hatten es satt, über den Blick aus dem Fenster zu schreiben oder über Wolken. Wir müssen auf das Blut der jungen Leute hinweisen, die jeden Tag zu Dutzenden oder Hunderten auf der Straße sterben und deren Leichen unauffindbar sind“, sagte er 2018 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Jetzt sind seine Gedichte im Verlag mikrotext erstmals auf Deutsch erschienen. Dieses Land gehört euch heißt der Band – und gleich vorweg: Wenn je ein Buch das Prädikat wortgewaltig verdient hat, dann dieses. Kadhem Khanjar schreibt – fantastisch übersetzt von Sandra Hetzl – mit einer solchen Wucht von Tod und Sterben, von Trauer und Leid, dass einem unheimlich wird. Er findet dabei nicht nur eindrückliche, sondern poetische Worte für Dinge, die so schrecklich sind, dass sie jeglicher Poesie entbehren:

„Wir legen den Toten in einen Sarg aus Holz.
Die Erde soll glauben, wir seien gekommen,
einen Baum zu pflanzen“

heißt es im Gedicht Totengräber.

Schrecken und Langeweile

In Am Flughafen schreibt Khanjar:

„Seit zwei Whiskeyflaschen versuche ich nun schon
zu schreiben über:
– eine Mutter, die versucht, den brennenden Sohn
mit ihren gestutzten Armen zu löschen
– einen Vater, der versucht, den abgeschnittenen Kopf
des Sohnes auf dessen blutenden Hals zurückzusetzen“

Und das Gedicht Tag besteht nur aus dem Satz:

„Die Uhr läuft weiter an der abgetrennten Hand.“

Der Schrecken macht aber irgendwann der Langweile Platz, der Khanjar etliche Gedichte gewidmet hat. In Eine langweilige Explosion etwa heißt es:

„Wieder eine Explosion heute,
langweilig wie immer.“

Verschlingend wie ein Sturm

Die Unmittelbarkeit, mit der Khanjar (be)schreibt, ist immer wieder verblüffend, so präzise sind seine Beobachtungen, so schneidend seine Formulierungen, so schmerzhaft seine Worte. Was er gesehen und erlebt hat, hat ihn nicht sprachlos werden lassen, im Gegenteil. Seine Worte sind Waffen, mal so kraftvoll und verschlingend wie ein Sturm, mal still und vermeintlich friedlich wie ein Bergsee.

Dieses Land gehört euch zerrt an einem, es fordert, es schmerzt – und es ist gerade deshalb ein unglaublich starkes Buch, weil Khadem Khanjar es vermag, vom Schrecken zu erzählen, wie er ist: schrecklich.

Weitere Informationen:

Kadhem Khanjar: Dieses Land gehört euch
mikrotext, 2019
Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl
8,99 EUR E-Book
14,99 EUR Taschenbuch, 136 Seiten

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