Kabeljau & Dorsch: „Eigentlich wollen wir alle das gleiche: Literatur fördern und einer Öffentlichkeit präsentieren“

Ein Gespräch mit Kabeljau & Dorsch über die Arbeit einer jungen Lesebühne, Selbstausbeutung im Kulturbetrieb und die deutsche Förderlandschaft.

Die Lesebühne Kabeljau & Dorsch gibt es seit 2013 und zieht mittlerweile mehr als 100 Gäste pro Abend in die Berliner Bar, in der die Lesungen stattfinden. An einem kalten, blauen Sonntagnachmittag hat zebrabutter.net drei der vier Kabeljau & Dorsch-Köpfe in Neukölln zu Tee und fränkischem Hellen getroffen, um ein Gespräch über Lesebühnen und Finanzierung im Literatursektor zu führen. Anlass unseres Treffens in Berlin war ein Post, den Kabeljau & Dorsch Anfang Januar auf ihrer Facebookseite veröffentlicht hatten und in dem sie bekannt gaben, dass sie mit Auslaufen ihrer bisherigen öffentlichen Förderung erst einmal den Lesungsbetrieb einstellen würden, bis eine neue Förderung akquiriert ist.

Als Erstes würde ich euch bitten, euch vorzustellen. Wer ihr seid, was ihr macht… Vielleicht gegenseitig?
Malte: Chris Möller studiert Angewandte Literaturwissenschaften an der Freien Universität Berlin, arbeitet in der Elisabeth Ruge Agentur, einer Literaturagentur, und hat von Anfang an die Lesereihe Kabeljau & Dorsch als Gründungsmitglied mit veranstaltet.
Natalie: Malte Abraham studiert an der Universität der Künste, schreibt auch sonst viel, liest viel in anderen Zusammenhängen vor und ist im weitesten Sinne freier Autor. Malte war auch von Anfang an dabei.
Chris: Natalie Wübbolt ist im Oktober2015 zu uns gestoßen, als wir eine Gastredakteurin gesucht haben. Das hat sich aber so glänzend bewährt, dass das „Gast“ jetzt gestrichen ist und Natalie vollwertiges Fischmitglied ist. Sie macht viel im journalistischen Bereich und schreibt außerdem in einem Autorenduo, das Wüstenfuchs & Schöpfung heißt.

Was ist den Kabeljau & Dorsch? Erklärt für jemanden, der euch nicht kennt und denkt, ihr betreibt ein Fischwarengeschäft?
Natalie: Es ist kein Fischwarengeschäft, das sei zuerst gesagt.
Malte: Kabeljau & Dorsch ist eine Lesereihe in Berlin, in der ausgewählte Autoren lesen. Ausgewählt heißt, dass wir aus einer Fülle von Einsendungen bestimmen, wer die besten fünf Texte geschrieben hat. Und die Autoren bekommen dann bei uns die Bühne und die Möglichkeit, zu lesen.

Wie oft macht ihr das?
Malte: Wir machen das seit zwei bis zweieinhalb Jahren. Die ersten eineinhalb Jahre einmal im Monat, das fand dann zum Teil auch noch in Wien statt. Seit einem halben Jahr veranstalten wir alle zwei Monate. Das hatte damit zu tun, dass die Kulturförderung, die wir vom Senat Berlin bekommen haben, hat es als Budget nicht ermöglicht, jeden Monat eine Lesung zu machen. Deswegen haben wir die Lesungen auf alle zwei Monate ausgedünnt, um wenigstens alle vernünftig vergüten zu können. Und seit Anfang diesen Jahres findet es gar nicht mehr statt.

Wo macht ihr die Lesebühne, immer am gleichen Ort?
Chris: Nein, wir sind zwischendurch umgezogen. Beide Orte, die wir bespielt haben sind Bars in Neukölln.
Malte: In Wien war es auch eine Bar.
Chris: Stimmt, dort auch. Es ist Teil unseres Konzepts, einen Ort zu suchen, der fernab ist vom klassischen Literaturhaus sondern eher dort, wo man nach der Lesung noch zusammen etwas trinken kann. Das war für uns zuerst das Gelegenheiten in Berlin und zuletzt haben wir im Alter Roter Löwe Rein veranstaltet.

Welche Leute kommen zu euch?
Malte: Viele junge Menschen, hauptsächlich. Das liegt daran, dass wir in einer Bar veranstalten und nicht in einem Haus am Rand von einer Stadt, wohin man eine Stunde Fahrtzeit hat. Wir wollen das Publikum nicht dahin holen wo wir sind, sondern wir wollen ein Stück weit dahin gehen, wo unser erwartetes Publikum ist. Das heißt, die Leute, die zu uns auf die Lesungen kommen sind Leute, die sowieso in Bars sind. Der Großteil der Leute, die kommen, hat irgendwas mit Literatur zu tun oder ist Literaturaffin, aber es war immer unser Grundsatz in eine Bar zu gehen und keinen Eintritt zu nehmen, um die Barrieren so niedrig zu halten, dass wir auch Leute erreichen, die auf gar keinen Fall in ein Literaturhaus gehen würden. Leute, die eigentlich kein Geld ausgeben für Bücher, die eigentlich noch nicht mal Lust haben auf eine Lesung, aber die dann eben sagen können: Okay, ich gehe mit, das dauert alles gar nicht so lange und dann bin ich wenigstens da, wo meine Freunde sind, die sich vielleicht ein bisschen mehr für Literatur interessieren. Außerdem gibt es Bier und es ist in einem Rahmen, wo du mit den Stühlen rücken kannst und nicht das Gefühl hast, du müsstest aufhören zu atmen, weil es eine sehr angespannte und unlockere Atmosphäre ist.
Chris: Genau, das hat nichts andächtiges.

Vor ein paar Jahren war ich mal bei euch in Kassel zu Besuch, und in eurer WG-Küche hing so ein riesiges Plakat mit einem Konzept drauf. War das der Anfang von Kabeljau & Dorsch?
Chris: [lacht] Ohgott, das war was ganz anderes, da wollen wir eigentlich gar nicht drüber reden. Es stimmt, dass wir immer schon das Interesse hatten, einen Weg oder Kanal zu finden um junge Literatur zu präsentieren seit wir angefangen haben das zu lesen und uns damit zu beschäftigen. Aber das Plakat, das du gesehen hast, war nicht der Ursprung von Kabeljau & Dorsch.
Malte: Der richtige Ursprungsmythos ist eigentlich, dass Sven Schaub und ich in Berlin unsere Texte lesen wollten. Ich war grade nach Berlin gekommen und es kamen überhaupt keine Leute auf uns zu, um uns als Autoren anzufragen. Gleichzeitig gab es auch keine Möglichkeit, initiativ irgendwo zu lesen. Es gab Niemanden, zu dem man hätte hinzugehen und sagen können: Pass auf, ich schreibe und ich würde meine Texte gerne irgendwo lesen. Das hat uns geärgert, und dazu kam, dass nach sehr kurzer Zeit die Nasen, die wir auf Lesungen gesehen haben, immer die gleichen geblieben sind. Es waren immer die Gleichen, die gelesen haben. Das war ein frustrierendes Erlebnis, gepaart damit, dass wir sehr schnell sehr viele Autoren kennen gelernt haben, die tolle Texte schreiben, die aber auch diese Texte nirgendwo präsentieren, weil sie eine ähnliche Erfahrung gemacht haben wie wir. Irgendwann haben wir gedacht, dass es toll wäre, wenn jemand eine Lesereihe machen würde, für die man sich bewerben könnte und haben drauf gewartet, ob das tatsächlich jemand macht. Hat aber niemand, deswegen haben wir das dann selbst in die Hand genommen. So wars, oder?
Chris: Ja, ich glaube schon. Dann haben wir zusammen Bier getrunken und zwei Tage später sind wir ins Gelegenheiten gegangen und haben gefragt, ob wir unsere Lesebühne dort machen können. Und dann wars schon passiert. Ich glaube, ich habe exakt einen Monat hier gewohnt, bevor wir die erste Lesung veranstaltet haben.

Und das Gelegenheiten hat direkt ja gesagt?
Chris: Ja.

Wie sind denn die Konditionen für die Bar?
Malte: Alles an die Bar. Also alle Gewinne gehen an die Kneipe, wir zahlen dafür aber keine Miete oder die Technikbetreuung.
Chris: Wir können alles dort frei nutzen und die Bar behält die Einnahmen vom Bier.
Natalie: Wofür wir sehr dankbar sind.

Ihr habt es ja schon anklingen lassen, aber versucht noch einmal zu erklären, was euch von anderen Lesebühnen unterscheidet.
Natalie: Hm… Also erstmal können wir unsere Autoren bezahlen.
Chris: Konnten.
Natalie: Konnten, stimmt. Aber man weiß ja nicht, was in Zukunft noch so kommt. Dann haben wir ziemlich schnell nach dem Start von Kabeljau & Dorsch an Zulauf gewonnen. Es hat sich enorm schnell vergrößert, denn anscheinend ist das Konzept aufgegangen. Es ist aber immer eine Entspanntheit geblieben. Ich weiß grade nicht, ob wir eben schon über Wasserglaslesungen geredet haben, aber das war es nie und ist es nie geworden – es ist immer noch eher ein Abend, an dem sich alle Freunde treffen. Das habe ich selbst, wenn ich irgendwo lese, in so einem Rahmen auch noch nie erlebt. Auch, dass danach noch alle dableiben. Es ist nie so, dass nach Ende die Hälfte geht, sondern der Abend wird eigentlich immer nur größer und offener. Wir bekommen auch immer mehr Bewerbungen und es ist schade, dass wir die Lesungen gerade jetzt nicht mehr so finanzieren können, wir wir das gerne möchten.

Ist das Spektrum eurer Autoren so offen wie ihr und euer Publikum? Bekommt ihr auch Texte, von denen man es gar nicht vermutet bei einer Lesebühne? Oder ist es doch auf klassische Formen junger, lokaler Autoren begrenzt?
Natalie: Tja, englische Lyrik haben wir im Moment sehr viel. Lange, englische Lyrik [lacht].
Malte: Es ist wirklich ein großes Spektrum. Das reicht von Verlagen, die uns Autoren vorschlagen, weil die grade einen neuen Roman veröffentlicht haben, bis hin zu Schülern aus Freiburg, oder Lehrern aus der Schweiz, oder… keine Ahnung, Mechanikern…
Natalie: Manager im Sabbatical, das bekommen wir auch.
Malte: Es sind wirklich sehr unterschiedliche Leute, die etwas einschicken, und auch von Anfang an aus dem gesamten deutschsprachigen Bereich. Auch als wir noch kein Geld hatten, kamen zur dritten Ausgabe schon Einsendungen aus Österreich und der Schweiz. Das ist das Eine, und dann variieren auch die Textformen sehr. Prosa, Lyrik, Drama und alles, was es dazwischen noch gibt.
Natalie: Die Redaktion hat auch von Anfang an darauf geachtet, die Lesungen gemischt zu halten.
Chris: Alles soll repräsentiert werden.

Ihr habt es also geschafft, einerseits offen für alle möglichen Autoren und gleichzeitig als attraktive Werbeplattform für Verlage zu erscheinen?
Malte: Mittlerweile mit der Tendenz, dass sich eher einige Leute abgeschreckt fühlen. Das ist leider der Effekt davon, dass immer mal wieder größere Autoren dabei sind, die wir schätzen und mögen und die wir auch dabei haben wollen. Nur merken wir eben, dass das auch viele Leute abschreckt. Es kommen Einsendungen, da werden wir gesiezt und das Anschreiben hat so einen Ton von: Vielleicht bin ich zu jung oder zu unbedeutend, aber… Und das ist eigentlich schade, denn je jünger und unbekannter der Autor und je toller aber der Text, desto mehr freuen wir uns darüber.
Chris: Eins möchte ich betonen, nicht, dass das missverstanden wird. Wenn Verlage uns anschreiben und fragen, ob ein Autor mit einem neuen Roman bei uns lesen kann, bedeutet das auf keinen Fall, dass diese Texte nicht im normalen Redaktionsverfahren geprüft werden. Unser Prinzip ist nicht, Leute lesen zu lassen, nur weil sie bekannt sind. Deswegen an dieser Stelle: Wir sind keine Sies und auch keine Buchveröffentlichungsplattform.

Könnt ihr für euch denn den Namen, der auf der Einsendung steht ausklammern? Bei manchen Literaturwettberwerben muss man sich genau wegen dieser Sache anonymisiert bewerben.
Malte: Für uns ist es einigermaßen wichtig, dass die Bewerbungen nicht anonymisiert sind, weil wir auch schon Texte von sehr jungen Autoren bekommen haben, die unter der Volljährigkeit waren, und die tolle Texte geschrieben haben dafür, dass sie noch so weit am Anfang sind.
Chris: Dann ist es wichtig zu wissen, von wem der Text ist, denn Minderjährige zu veranstalten ist etwas schwierig. Am Ende entscheidet aber immer der Text und nicht die Vita. Man öffnet zuerst den Text und nicht das PDF, in dem der Lebenslauf steht.

Wie sieht denn eigentlich der Redaktionsprozess aus? Wie oft und an welchem Punkt im Prozess trefft ihr euch? Streitet ihr euch? Werden Texte vom Balkon deklariert?
Chris: [lacht] Es gab schon so Momente des Wahnsinns, wenn es viele Einsendungen gab, da haben Redaktionsmitglieder schon mal Texte performt und gesungen… Meistens treffen wir uns bei jemandem Zuhause, besprechen die Einsendungen, die gekommen sind und streiten, wenn überhaupt, inhaltlich. In solchen Sitzungen aber eigentlich eher wenig, würde ich sagen.
Natalie: Es ist aber auch nicht immer gleich einstimmig, es gibt schon so ein paar Reibungspunkte.

Favorisiert ihr alle einfach immer ähnliche Texte oder gab es schon Situationen, in denen einer einen Text total toll fand und alle anderen fanden den Text schrecklich?
Natalie: Gabs auch schon.

Und wie ist dann der Abstimmungsprozess? Wird das ausdiskutiert oder entscheidet die Mehrheitsmeinung?
Chris: Normalerweise diskutieren wir das aus und dann entscheidet trotzdem die Mehrheit.
Natalie: Wir versuchen uns gegenseitig zu überzeugen, würde ich sagen. Manchmal gewinnt einer, aber oft auch nicht.
Malte: Ich glaube aber nicht, dass wir schonmal einen Text bei einer Lesung hatten wo dann einer hinterher gesagt hat: Ich finde den eigentlich immer noch scheiße. Es ist wichtig für uns, dass die Autoren, die bei uns lesen Rückhalt aus der Redaktion haben. Es soll niemand da sitzen und lesen, und nach der Lesung kommt jemand zu uns und sagt: Was für ein scheiß Text. Und wir sagen: Ja, ich weiß. Das wird nicht passieren. Mir ist es tatsächlich schon passiert, dass ich irgendwo gelesen habe und nicht das Gefühl hatte, das alle Veranstaltenden wollten, dass ich da bin.
Natalie: Deswegen arbeiten wir mit einem Pool an Autoren. Das heißt, wenn der eine an dem einen Abend nicht kann, fragen wir wen anders, und der andere kann dann vielleicht an einem anderen Abend. So müssen wir bei der Textauswahl keine faulen Kompromisse eingehen.
Chris: Ich habe aber auch einfach keine Lust, nach der Lesung jemandem zu seinem Text zu gratulieren ohne es tatsächlich zu meinen.
Malte: Zu dem Prozedere noch… wir lesen vorher alle Texte einzeln für uns, zuhause, und schreiben unsere Favoriten auf. Damit gehen wir dann in die Redaktionssitzung und reden dann darüber, wen wir dabei haben wollen und wen nicht. Zur Not lesen wir nochmal einen Text zusammen und diskutieren Stellen, die unserer Meinung nach für oder gegen den Text sprechen, bis wir einen Konsens haben. Wir haben einen fixen Tag in der Woche, an dem wir uns als Redaktion treffen und je nachdem, wie viel zu tun ist, kommt noch mindestens ein weiterer Tag dazu. Das sind teilweise sehr lange Arbeitstage, an denen wir nichts anderes machen. Wenn wir uns selbst nach Mindestlohn bezahlen würden wären wir jetzt reiche Leute.

Um die Vergütung eurer Arbeitsleistung ging es ja auch in besagtem Facebookposting. Wie war denn eure Bezahlung und Förderung bis jetzt?
Chris: Als wir uns gegründet haben gab es überhaupt kein Geld für niemanden, das war etwa eineinhalb Jahre so. Die Autoren und wir haben lediglich Freigetränke bekommen. Zusätzlich hängen da ja auch noch andere Leute mit dran, die Kabeljau & Dorsch mitgeprägt haben, zum Beispiel Grafiker und Fotografen, die haben auch nie Geld gesehen. Das Stipendium vom Senat Berlin hat für uns bedeutet, dass wir alle, die am Prozess beteiligt waren, halbwegs fair bezahlen konnten. Das war zum Beispiel eine Autorengage von 100 Euro pro Lesung und pro Autor. Einem Autor pro Lesung konnten wir auch die Reise bezahlen. Die Gage haben wir unabhängig vom Bekanntheitsgrad bezahlt. Jeder, der gelesen hat, hat gleich viel bekommen.
Malte: Wir konnten die Grafiker bezahlen und die Fotografen. Diejenigen, die die letzten eineinhalb Jahre für uns unbezahlt gearbeitet haben, haben wir wieder eingeladen für uns zu fotografieren, damit wir denen Geld geben konnten, genauso die Grafiker. Das meiste Geld ist tatsächlich sofort zurück in andere Leute geflossen und wurde nicht von der Redaktion zuhause in Wurst oder Käse umgewandelt.

Warum kommt für euch Veranstaltungseintritt oder ein Crowdfunding nicht in Frage?
Chris: Es war von Anfang an Teil unseres Konzepts, keinen Eintritt zu nehmen, um unser Angebot eben möglichst niedrigschwellig zu halten, wie schon gesagt. Wenn wir Eintritt nehmen müssten, dann sollte es ein fairer Preis sein. Das wären dann drei Euro oder sowas und das würde überhaupt nicht ausreichen, um diesen Abend komplett zu finanzieren. Dann kann man am Ende den Autoren doch wieder nur ein Glas Bier als Gage vor die Nase stellen. Wenn man bei einem niedrigen Eintrittspreis alle Einnahmen durch alle Leute teilt, die mitgemacht haben, oder auch nur durch die fünf Autoren, kommt am Ende als Gage etwas heraus, was alles andere als fair ist.
Natalie: Wir haben ja schon erwähnt, dass die Autoren von uns 100 Euro am Abend bekommen haben und die Fotografen auch. Ob das super fair ist, kann man diskutieren, aber es ist schon eine Summe, die man in der Hand hält für seine Arbeit. Die Eintrittsgelder mit drei Euro Eintritt würden dafür einfach nicht reichen und die Gagen wieder zurückzuschrauben finden wir schwierig. Auch, weil es sich so schön anfühlt, den Autoren und allen beteiligten Kreativen Geld geben zu können.
Malte: An Crowdfunding finde ich nicht ganz so gut, dass das Geld wieder über die Konsumenten kommt, was ich bei der Kulturförderung, die Deutschland hat, unnötig finde. Wir haben hier eine total tolle Förderlandschaft und es wird sehr viel Geld bewegt, grade auch im Raum Berlin. Ich glaube nur, dass es in Stück weit für die falschen Sachen bewegt wird. Die Subventionierung von ein oder zwei Lesungen aus einem Literaturhaus würde uns reichen, um ein Jahr lang arbeiten zu können. Und bei diesen Lesungen sitzen dann vielleicht vier Leute. Es ist also abwegig zu sagen, dass die hundert Leute, die zu unseren Lesungen kommen zahlen sollen, und die vier Leute, die da drüben sitzen und sich einen Eintritt wahrscheinlich leisten können, zahlen nichts.

Im Prinzip findet ihr also, es gibt genug Kulturförderung, nur die Verteilung stimmt nicht.
Malte: Ja, ungefähr.
Natalie: Naja, nicht immer. Bei uns lesen auch viele Studenten, die nicht besonders viel Geld zur Verfügung haben. Und unseres Wissens gibt es kein anderes Projekt, das gefördert wird und seinen Autoren so viel Geld zahlt wie wir. Das gibt es einfach nicht und das ist schade, denn die Gelder dafür sind irgendwo sicher vorhanden.

Warum legt ihr eigentlich so viel Wert darauf, eure Autoren und euch zu bezahlen, wenn das im Kulturbetrieb alles andere als Usus ist?
Chris: Ja, doch genau deswegen! Weil es Usus ist und weil es ein Skandal ist, dass es so ist. Es ist absolut absurd nicht zu verstehen, dass das, was da drinsteckt, Arbeit ist. Natürlich gibt es diese romantisierte Vorstellung vom Künstler, der Kunst frei vom Markt macht und den man nicht bezahlen muss. Wenn alle immerzu denken, dass sie Kunst machen und dafür nichts verdienen sollen, wie soll das denn weitergehen? Kunst ist eine Arbeit, die honoriert werden sollte und wenn unser Honorationssystem eben Geld ist, dann halt mit Geld.
Malte: Ich finde auch,dass das Schlimmste in dieser Debatte darüber ist, und das es auf dem Gebiet viele Fallstricke gibt wenn man mit so einer Meinung an die Öffentlichkeit geht. Die Beschwerde, kein Geld zu haben, kann uns als Larmoyanz gedeutet werden, um die es nicht geht. Es geht auch nicht um eine linke Faust in der Höhe als Rebellionsgestus. Und der dritte Punkt ist, dass vieles von dem was wir sagen von den Leuten abgetan wird als ein: Das ist uns ja eh klar. Dabei geht bei vielen Kulturprojekten, in denen diese aufgeklärten Leute sitzen das Geld immer an Grafikdesigner. Es wird eine künstlerische Sache gemacht, in die Autoren involviert sind, aber das Geld geht an die Grafikdesigner, Informatiker, und so weiter. Und die Frage ist doch, wieso passiert das immernoch? Ich glaube schon, dass der Gedanke dahinter steht, dass zum Beispiel Grafikdesigner sich über lange Zeit eine spezielle Sache angeeignet haben, im Gegensatz zum Schreiben, was ja angeblich jeder ein bisschen kann. Schreiben hat in dieser Denke etwas mit Hobby und Talent zu tun, also nichts, wofür man arbeiten muss. Es gibt Leute, die machen Literaturmagazine oder arbeiten in der Literaturszene und beschäftigen sich die ganze Zeit mit Autoren und trotzdem ist in deren Köpfen dieser Gedanke an den sogenannten Geniegestus verankert.
Chris: Und die Absurdität geht immer weiter, das möchte ich auch noch mal ergänzen. Seit Anfang des Jahres gibt es einen Zusammenschluss unabhängiger Lesereihen, die zusammen ein Workshop-Klausur-Wochenende veranstaltet haben. Dabei ist rausgekommen, dass es von Seiten der tatsächlich geförderten Lesereihen absolutes Selbstverständnis ist und zu den Statuten gehört, dass die Veranstalter selber nichts an ihren Veranstaltungen verdienen, sondern immer nur die Lesenden etwas bekommen. Das finde ich einfach absurd, dass irgendeiner in dieser Kette sich immer wie selbstverständlich ausbeutet.

Aber das ist ja tatsächlich eine Arbeitseinstellung, die man an allen Stellen im Kulturbetrieb trifft.
Chris: Ja, aber das muss man ja nicht einfach schlucken.

Dürfen und können denn Kulturprojekte unabhängig von öffentlicher Förderung wirtschaftlich sein, und können oder dürfen sie dann für die Konsumenten auf keinen Fall etwas kosten?
Chris: Ich glaube nicht, dass es pauschal nichts kosten darf, das wäre ja genauso absurd.

Wie könnte man denn einen Entwurf zusammen bringen, der gleichzeitig rentabel für die Betreiber und kostengünstig für die Konsumenten ist?
Malte: Ich würde noch einmal einen Schritt zurückgehen und sagen, dass Deutschland ziemlich an der Spitze ist mit der Art seiner Kulturförderung, weil es einen Konsens darüber gibt, dass Kultur subventioniert werden muss. Es wird viel Geld umgesetzt und die Frage ist nur, wo das schief läuft. Ich habe schon das Gefühl, dass immernoch bestimmte Institutionen unhinterfragt durchfinanziert werden, die längst überholt sind und eigentlich reformiert werden müssten und einem größeren Rechtfertigungsdruck für ihr Programm ausgesetzt ein müssten. Ich finde es zum Beispiel erstmal nicht abwegig und schlecht, dass Lesungen von einem deutschen Lyriker veranstaltet werden, den vielleicht 14 Leute kennen, und sieben von denen reisen an. Das Problem ist nur, dass es auch möglich wäre, dass den mehr als sieben Leute sehen, wenn man andere Kanäle bedient, was den Veranstaltern aber egal ist, weil sie sowieso das Fördergeld bekommen.

An welcher Stelle würdest du da nachjustieren? Wo müssten andere Entscheidungen getroffen werde oder die Parameter verändert werden? Müsste die Öffentlichkeit viel mehr Mitbestimmungsrecht haben über die Verwendung von Fördergeldern?
Malte: Also eigentlich sind die fest eingesetzten Institutionen schon dafür da. Als wir in Mündchen waren hat uns der Leiter der Stiftung Lyrik Kabinett erklärt, wie es zu Literaturhäusern in Deutschland kam. Eigentlich war da genau das Problem, vor dem wir jetzt mit Kabeljau & Dorsch stehen, ausschlaggebend. Damals wurde sich auch für Kultur eingesetzt, nur gab es keinen Ort, an dem man langfristig Kultur fördern und veranstalten konnte. Dann hat irgendwann der Bund oder die Kommunen gesagt: Okay, wir machen jetzt hier ein Literaturhaus – nehmt dieses Haus und jährlich diese Summe, um ein Kulturprogramm zu entwickeln. Eigentlich eine gute Idee, nur gibt es jetzt seit 60 Jahren diese Häuser, in denen Leute Kultur machen, die entweder im falschen Alter sind oder sich eben auf der Förderung ausruhen. Das heißt für mich, dass eigentlich an jedem Freitag Abend in jedem Literaturhaus in Deutschland ein Martin Walser liest.
Chris: Der liest nicht Freitags, der liest unter der Woche, weil Literatur nicht an die Eventtage gehört.
Malte: Genau, vielleicht liest er nicht Freitags, aber er liest gleichzeitig in Darmstadt, Hildesheim, Kiel, Berlin und Bremen…
[Alle lachen]
Malte: Und es fließt einfach wahnsinnig viel Geld in diese Art Autor.
Chris: Ich finde aber, Martin Walser verdient, was ihm bezahlt wird.
Malte: Martin Walser verdient es total bezahlt zu werden, nur ist es unverhältnismäßig, dass ein Martin Walser an einem Abend quasi so viel verdient wie wir bräuchten, um ein Jahr Kultur zu machen. Warum denn nicht einmal einen Martin Walser nicht einladen, weil so jemand diese Plattform auch weniger braucht als zum Beispiel jemand wie Yevgeniy Breyger.
Natalie: Dazu kommt, dass die meisten Leute in unseren Alter eben unter der Woche nicht in einem Literaturhaus am Ende der Stadt sind, sondern da, wo ihre Freunde sind. Da wirft die Arbeit von Literaturhäusern schon Fragen auf.

Ihr wollt also eher eine finanzielle Niedrigschwelligkeit für eure Veranstaltungen als eine inhaltliche. Denn das wäre wohl eher Martin Walser, dessen Name wahrscheinlich auch Leute anzieht, die sonst nie lesen. Eigentlich verfolgt ihr mit Kabeljau & Dorsch eine Art Bildungsauftrag mit Autorenförderung, oder?
Chris: Definitiv. Aber ich möchte noch dazu sagen, dass wir unser Geld nicht von Martin Walser oder einem Literaturhaus klauen wollen. Es muss um eine ganz andere Umverteilung gehen.
Natalie: Es braucht einfach eine Öffnung der institutionellen Strukturen, die genährt werden und sich immer wieder wiederholen. Wann gab es denn zuletzt im Literaturbetrieb einschneidende Änderungen und wann war es das letzte Mal nicht vorhersehbar, wer wie gefördert wird?

Aber dann sind wir ja wieder bei der Frage von eben – wo wäre die Stellschraube in der öffentlichen Kulturförderung, an der man drehen könnte?
Malte: Es gibt sicher Leute, die darauf eine viel bessere Antwort haben. Die letzte Instanz, über die ich noch irgend eine Art Überblick habe ist das Literaturhaus, deswegen reden wir hier auch darüber. Wer dahinter in welchen Positionen sitzt, und wer da im Hintergrund was entscheidet, bis man bei Tim Renner ist [Anm. d. Red.: Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten des Landes Berlin], der gerade Castorf aus seinem Haus vertreiben will [], weiß ich nicht so genau. Das wissen andere Leute besser und können das besser beurteilen. Was aber auf jeden Fall falsch läuft ist, dass es keinen Rechtfertigungsdruck auf Seiten der Literaturhäuser gibt. Der systemische Fehler liegt darin, dass wir hier sitzen und du uns fragst, warum wir ohne Geld nicht weitermachen, anstatt dass mal jemand ein Literaturhaus fragt, warum sie mit Geld diese Veranstaltungen machen.
Chris: Das kriegt jetzt irgendwie auch eine Schieflage. Die eigentliche Frage müsste doch sein, und die ist natürlich auch wieder super global und schwer zu beantworten, in welche Bereiche Geld gesteckt wird und warum. Ich finde es okay, wenn das Literaturhaus das Geld hat, das es jetzt hat, das will ich nicht haben. Ich will das Geld vom Straßenbau haben.
Malte: Das ist ein anderer Punkt. Da kann man natürlich anfangen zu fragen, warum so viel Geld in Rüstung und so weiter investiert wird, aber dann verlieren wir so ein bisschen den Bezugspunkt.
Natalie: Das ist eigentlich nicht das Thema.

Würdet ihr einfordern wollen, dass solche Entscheidungen von der Öffentlichkeit mitgetroffen werden?
Natalie: Nein, ich glaube, sowas muss schon kanalisiert werden. Wenn wir das alles so vergrößern, dass einzelne Entscheidungen demokratisiert werden – was natürlich auch gut sein kann – dann dauert alles noch länger. Und ob das, worauf es dann hinaus läuft, gut ist, ist natürlich auch immer die Frage. Ich weiß nicht ob es die Lage besser macht, wenn nur noch Mainstream-Entscheidungen getroffen werden. Ich würde mir aber wünschen, dass die Stellen, die jetzt entscheiden, ihre Entscheidungen mutiger treffen. Mut ist ein Begriff, der mir dazu im Kopf herumschwirrt. Es soll nicht so wirken, als würden wir nur rumsitzen und heulen. Wir werden uns jetzt natürlich ans Anträgeschreiben machen. Aber wir würden uns wünschen, dass ein bisschen mehr dabei heraus kommt, denn wir haben einen riesigen Publikumszulauf im letzten Jahr gehabt und auch online eine große positive Resonanz. Ich wünsche mir, dass wir so ein Projekt nicht abbrechen müssen, nur weil niemand den Mut hat, uns eine minimale Förderung zu geben. Dass gerne die immergleichen Strukturen aufrecht erhalten werden wissen alle, die im Kulturbetrieb arbeiten, und das steht in Diskrepanz dazu, dass unser Format so erfolgreich gewachsen ist und wir trotzdem nichts dafür bekommen.

Die Forderung, dass ein Programm gemacht wird, dass sich weniger auf Sicherheit ausruht, wird ja auch immer wieder an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gestellt.
Chris: Ja, das ist ja das, worum es in der Literaturhausdebatte geht. Die ist aber auch viel zu kompliziert, als dass wir jetzt eine Antwort darauf geben könnten, woher das Geld kommen soll und wer darüber entscheidet. Uns war wichtig, mit unserem Post auf Facebook ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, wie das System jetzt funktioniert und wie die Förderungen zurzeit vergeben werden, und dass uns das Selbstverständnis, unbezahlt Kultur zu machen, nicht gefällt.
Malte: Unsere Kritik hat sich gegen Literaturhäuser gerichtet, aber eigentlich wollen wir ja das Gleiche, das zeigt die Entstehungsgeschichte der Häuser. Das Geld, dass dort fließt, fließt ja in die selben Sachen, die wir machen wollen, nämlich Literatur zu fördern und einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Wir empfinden es aber als Ungerechtigkeit, dass wir auf Facebook mit einem einzigen Post bis zu 10.000 Leute erreichen, während wir uns nicht vorstellen können, dass ein Literaturhaus ein Bruchteil dieser Leute erreicht, und dort aber die Mitarbeiter vernünftig bezahlt werden können und ihre Arbeit gefühlt nicht genug in Frage stellen. Was ich eigentlich toll fände wäre eine Diskussion in verschiedenen Instanzen, um mal darüber zu sprechen, wie es eigentlich unten an der Basis ankommt, was oben entschieden wird. Die Literaturhäuser haben bestimmt auch einiges zu jammern und vielleicht wollen sie ja auch Projekte wie uns zugehen und finden den Weg nicht oder können es nicht gegenüber einem Förderer argumentieren. Der Aufruf ist also, dass die Literaturhäuser nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten auf Lesebühnen wie uns zugehen. Man könnte beides zusammen führen und damit ein viel größeres Publikum viel besser erreichen.

Hinweis für alle Leser_innen, die Förder- oder Sponsorengelder in die Hand nehmen können: Auch dieser Artikel ist in mehreren Stunden unbezahlter Arbeit entstanden (etwa neun, um genau zu sein). Genauso wie Kabeljau & Dorsch würde zebrabutter.net sich und seine Autoren gerne irgendwann bezahlen können. Beide Projekte sind es wert, gefördert zu werden – unsere Emailpostfächer sind immer offen für euch!

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