Rant der Stunde: Wieso reicht ihr Wort nicht aus?

Jenna Behrends schrieb für Edition F einen offenen Brief über den Sexismus in ihrer Partei, der CDU. Die vornehmlichen Reaktionen in sozialen Medien? Sexismus. 

Ich habe vor ziemlich genau zwei Jahren einen Artikel geschrieben, in dem ich erklärte, warum ich gar nicht anders kann als Feminist zu sein. Als ich den Artikel bei Facebook postete, wurde ich Femnazi und lila Pudel genannt, Anti-Feminismus wurde mit Antisemitismus verrührt („Solche Frauen sind wie Juden: die heulen auch nur, tun aber nichts“). Ich musste dabei an Lewis’ Law denken, das die britische Journalistin Helen Lewis 2012 durch einen getwitterten Satz begründete: „The comments on any article about feminism justify feminism.“

Vier Jahre nach dem Tweet und zwei Jahre nach meinem Artikel hat sich wenig geändert. Gerade hat Jenna Behrends, 26, Bezirksverordnete in Berlin-Mitte, in einem offenen Brief über den Sexismus in ihrer Partei, der CDU, geschrieben. Und egal ob nun bei Spiegel Online, bei bento, bei jetzt.de oder dem Tagesspiegel – wo über Behrends’ Brief berichtet wird, finden sich sexistische Kommentare: was sie denn erwarte, wenn sie in die CDU eintrete: „ Mimimi…..hab mir die konservativen ausgesucht und jetzt bin ich traurig, dass ich gebährend an den Herd soll…..mimimimi“, heißt es in einem Facebook-Kommentar auf der Seite von jetzt.de.

„Es ist in Wahrheit noch schlimmer“

Auf der Seite von Spiegel Online ist der Ton schärfer. Da schreibt ein User: „Sexismus ist das neue Triggerwort für 5 Minuten Ruhm in den Medien. Pseudo-Emanze Gina-Lisa hat es vorgemacht, nun folgt die Nachhut. Sie behauptet ne ganze Menge in dem Brief (der natürlich zum Wohle aller öffentlich gemacht wird) ohne dabei Details oder gar Beweise zu nennen.“

So stellt sich die Mehrheit der Kommentare dar: die einen sagen, Behrends dürfe sich nicht wundern, wenn sie einer konservativen Partei beitritt. Und die anderen zweifeln direkt an, dass an ihren Vorwürfen etwas dran ist. Dabei hat der „Berliner CDU-Mann Florian Nöll (…) bereits auf Facebook geschrieben: ‚Es ist in Wahrheit noch schlimmer.’“, wie Spiegel Online in einem Kommentar erklärt.

Politik: von alten Männern dominierte Welt

Es ist bezeichnend, dass die Berichte einer Frau von Erfahrungen mit alltäglichem Sexismus solange keine Gültigkeit haben, bis sie Beweise vorlegt. Ich frage mich augenblicklich: sind diese Erfahrungen nicht Grund genug, ihr zu glauben? Wieso unterstellt man einer Frau eine männerfeindliche Agenda, wenn sie von ihren Erfahrungen berichtet? Und wie soll das funktionieren, das Beschaffen und Vorlegen von Beweisen? Soll sie wie eine Mischung aus Richard Nixon und Hunter S. Thompson stets und ständig ein Aufnahmegerät laufen haben, damit man ihr glaubt? Braucht es eine antisexistische Versteckte Kamera? Wieso reicht ihr Wort nicht aus? Dass die Politik – nicht nur die CDU – eine von alten Männern dominierte, antiquierte, sexistische Welt ist, ist ja nun nichts Neues.

Neu und vor allem begrüßenswert wäre, einer jungen Politikerin, die einen offenen Brief über Sexismus in ihrer Partei schreibt, erstmal unvoreingenommen zuzuhören. Wieso müssen so viele der Reaktionen Zweifel, persönliche Angriffe und unverhohlener Sexismus sein? Das ist doch paradox! Es mag realitätsfern sein, aber wieso kann man einer solchen Politikerin nicht nur glauben, sondern obendrein auch noch dankbar sein? Für die Möglichkeit, bestehende Missstände zu beseitigen? Für die Chance einer Gesellschaft, in der echte Gleichstellung nicht nur eine Wahlkampffloskel ist, in der „FeministIn“ weder Schimpfwort noch Orden, sondern ganz einfach alltäglich ist?

Mindestens genauso begrüßenswert wäre es – und hierzu empfehle ich die Lektüre von Sascha Lobos Artikel zur Causa Andreas Scheuer –, dass wir über Ismen in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke reden. Denn von einem gewinnbringenden Diskurs (egal ob nun über Sexismus, Rassismus oder Klassismus) sind wir dort meilenweit entfernt.

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