Videospiele sind keine Religion

Der US-amerikanische Comedian Jimmy Kimmel hat in seiner Latenight-Show einen harmlosen Sketch auf Kosten von Gamern gemacht – und die wünschten ihm Aids, Krebs und den Tod an den Hals. Wenn Gamer nicht langsam erwachsen werden, dürfen sie sich nicht wundern, wenn man sie marginalisiert. Ein Kommentar von Martin Spieß.

Wenn man sich die letzten Male anschaut, dass Videospiele in den Medien waren, kommt es einem so vor, als lese man den Lebenslauf eines Bewerbers, der nicht nur nicht zum Interview eingeladen wird, sondern vor dem man andere Unternehmen, vielleicht sogar den Staatsschutz warnt. Hetzkampagnen, Mord- und Bombendrohungen gegen Medienkritikerin Anita Sarkeesian sowie gegen die Spieleentwicklerinnen Brianna Wu und Zoë Quinn, die schließlich in der Gamergate-Debatte endeten – und zuletzt die Ankündigung von EA Sports, dass es in FIFA 2016 auch Frauenfußballmannschaften geben würde, worauf Gamer einen sexistischen Shitstorm sonder Gleichen nieder regnen ließen.

Und nun hat es Comedian und Talkshow-Host Jimmy Kimmel getroffen. Der machte sich über YouTube Gaming lustig: die neue Plattform auf YouTube für Let’s-Play-Formate. Ganz einfach, weil er nicht nachvollziehen konnte, dass man jemandem beim Gaming zusieht anstatt selbst zu spielen. Was dann geschah: die Gamer-Community lief Amok. Kimmel wurde Krankheit und Tod gewünscht, und auch seine Frau und seine Tochter wurden Ziel der Angriffe.

Games sind nicht erwachsen

Games, so heißt es immer wieder – und so hieß es zuletzt im August auf der GamesCom in Köln –, sind erwachsen geworden. In der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sind Kulturgut geworden.

Was die in jedem Fall unreifen und mitunter kriminellen Entgleisungen der letzten Jahre allerdings beweisen ist dies: Games, vor allem aber Gamer selbst, sind mitnichten erwachsen geworden – und Games sind auch noch (lange) kein Kulturgut. Zumindest solange nicht, wie nicht Kritik an ihnen zum Alltag gehört. Bildende Kunst, Film, Fernsehen, Musik, Literatur – sie alle sind Gegenstand öffentlicher Diskurse und damit von Kritik und Satire.

Nie im Leben würden die Fans eines Künstlers, Regisseurs, Musikers oder Autors oder die Zuschauer eines Films, die Hörer eines Albums oder die Leser eines Buches auf die Idee kommen, einem Comedian, der darüber scherzt, Krankheit oder Tod zu wünschen.

Die Hand zur Versöhnung

Dass Videospiele ein vergleichsweise junges Medium sind: geschenkt. Eine Situation, in der eine Community in dieser Breite nicht nur nicht mit Kritik oder Satire umzugehen weiß, sondern mit Hass, Hetze und Androhung von Gewalt darauf reagiert, ist unhaltbar.

Jimmy Kimmel reagierte auf die Anfeindungen mit einem Kommentar und dann kommentierte er die Anfeindungen auf den Kommentar. Schließlich reichte er der Szene in einem weiteren Video die Hand zur Versöhnung und besuchte zwei Online-Gamer, um sich von ihnen die Faszination dafür erklären zu lassen, sich Videos von Leuten anzusehen, die Videospiele spielen: Markiplier und MissesMae.

Bevor es losging, las er noch ein paar Kommentare vor, unter anderem diesen hier:

„I get that Jimmy Kimmel could be a bit out of touch since he’s not familiar with the scene but why attack it?“

Gamer gebärden sich wie religiöse Fanatiker

Der Kommentar stammt ausgerechnet von MissesMae, und Kimmels Antwort – „Well, it’s a comedy show. Sometimes I make jokes.“ – hätte ausreichen müssen. Was die zugegebenermaßen recht junge MissesMae darauf erwiderte, fasste das Problem der Community noch einmal zusammen: „I laughed at it, but I would say I was a little bit insulted.

Liebe Gamer – ihr müsst es aushalten, wenn jemand über euch Witze reißt. Tut ihr es nicht, gebärdet ihr euch wie religiöse Fanatiker. Die können nämlich genauso wenig mit Kritik und Satire umgehen. Und deren Rhetorik ist eurer gar nicht so unähnlich. Das gefällt euch nicht? Gut so. Videospiele sind schließlich keine Religion.

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