Perry Rhodan Comic: Bis zur Unendlichkeit. Und noch viel weiter.

Die Heftreihe Perry Rhodan gibt es jetzt auch als Comic. Für Jan Fischer eine gute Gelegenheit, über Science-Fiction nachzudenken.

Ich habe mich mit Perry Rhodan nie besonders beschäftigt.
Warum, erkläre ich gleich.
Folgende Geschichte: Ich sitze mit meinem Vater am Küchentisch, es ist Wochende, wir frühstücken, ich nehme immer Fleischwurst auf mein Brötchen. Vorher war ich beim Kiosk, ich habe die Brötchen gekauft und durfte mir noch ein YPS-Heft oder eine Micky Maus aussuchen. Und ihm muss ich immer einen Perry Rhodan mitbringen.
Beim Frühstück sitzen wir uns stumm gegenüber und blättern in unseren Heften.
Ich halte das nach wie vor für Gemütlichkeit.
Tatsächlich weiß ich nicht, wie lange mein Vater die Hefte schon las, ich vermute, wie das mit Eltern so ist, wenn man jung ist, länger als die Zeit als solche da schon existiert hatte.

Ich las damals so ziemlich alles, was ich irgendwie fand, vor allem, wenn es überbordende, übermütige Illustrationen auf dem Cover hatte und aussah, als sei es für Erwachsene. Perry Rhodan fasste ich nicht an.
Warum, erkläre ich gleich.
Die Hefte jedenfalls wurden in meiner Familie herumgereicht. Meine Großmutter las sie nach meinem Vater. Ich sehe sie immer noch stapelweise vor mir, die Hefte, diese Cover, die so viel versprachen, alle diese Helden, Welten, Universen, Wesen. Perry Rhodan war auf eine merkwürdige Art immer anwesend in meinem Leben, in den Wohnzimmern der Familie, auf den Drehständern der Kioske. Ich sah sogar einmal, ich weiß nicht warum, die Verfilmung Perry Rhodan – SOS aus dem Weltall von 1967, die, wenn man den Fans glaubt, der größte Schrott ist, der je unter dem Namen des Franchise herausgekommen ist.

Riesenuniversum

Ich habe Science-Fiction immer gemocht – ich besaß für die Jugend aufgearbeitete Versionen von irgendwelchen Marsvisionen aus den 50ern in einem knallgrünen Buch, meine Ausgabe von Per Anhalter durch die Galaxis ist so zerlesen, dass sie nicht mehr lesbar ist, ich besitze nicht nur eine Schallplatte, die von den Originalaufzeichnen von War of the Worlds gepresst ist, sondern auch eine Schallplatte von Jeff Wayne’s Musical Version of the War of the Worlds, ich halte Solaris für die beste Liebesgeschichte, die je geschrieben wurde, ich höre manchmal Jan Tenner zum Einschlafen, ich habe verschiedene starke Meinungen zu Star Wars, ich könnte vermutlich mit Gene Roddenberry selbst über die oberste Direktive diskutieren, und von Doctor Who müssen wir gar nicht erst anfangen.

Perry Rhodan läuft kontinuierlich seit 1961, also einmal quer durch fast die gesamte Literaturgeschichte der Science-Fiction. Alte Hefte werden immer wieder neu aufgelegt, es gibt Spin-Off-Hefte, Hörspiele, es gab Modellbausätze – die Serie ist eine der größten Heftromanserien, eine der einträglichsten, und damit auch eines der größten Science-Fiction-Universen, die es gibt.
Und ich glaube, das ist immer mein Problem gewesen.
Perry Rhodan war mir immer zu groß – es gibt keinen Punkt, an den man sich klammern könnte. Es ist ein riesiges Universum, es ist keine durchgehende Heldenerzählung, Hauptfiguren sind oft irgendwelche Leute – Perry Rhodan selbst nur selten.
Und solche Science-Fiction-Universen sind ja auch nie alleine – sie betrachten immer ein anderes, nämlich unser Universum, von außen.
Perry Rhodan, lese ich in Zusammenfassungen, hat das von Anfang an getan, hat immer aktuelle politische Spannungen als Ausgangspunkt genommen und sie weiter gesponnen, hat sich immer dicht am Zeitgeist rumgetrieben und kann dann eben auch so gelesen werden: Als gigantischer Spiegel deutscher Wirklichkeit, der seit den 60er immer wieder aktualisiert wird. Es ist konsequent und leuchtet mir, ohne die Serie wirklich zu kennnen, sofort ein, dass Perry Rhodan schon früh in der Serie unsterblich wird, übermenschlich, und letztlich, weil er seine Unsterblichkeit von Außerirdischen bekommt, auch ein Stück weit außerirdisch.

„‚Außerirdisch zu werden‘ das bedeutet nicht zuletzt, die Beschränktheit unserer Weltwahrnehmung aufzuheben, uns endlich auch in dem Raum zu erkennen, in dem wir tatsächlich leben. Außerirdisch zu werden heißt, sich auch von außen betrachten zu können“,

schreibt Philipp Theison in einem tollen Essay in der Zeit. Dass Perry Rhodan genau das von Anfang an getan hat und gleichzeitig das wahrscheinlich einzige deutsche Science-Fiction Universum ist, macht die Heftromanserie zu einem wirklich einzigartigen zeitgeschichtlichen Dokument. Und das war mir immer zuviel – ein unendliches Universum voller verzerrter Spiegelbilder, die ich nicht verstehen kann, weil die Originale so alt sind, dass sie kaum zu begreifen sind.

Das Trauma von Helmut Kohl

20151103_091031Die Cover, vor allem die früheren, zeigen das tatsächlich auch: Da ist zwar eine Zukunft, aber es ist die angestaubte, bundesrepublikanische Zukunft von gestern, und ähnlich werden die Cover immer noch gezeichnet. Das war auch immer mein Problem damit: Perry Rhodan versprach immer Welten, aber es waren nie die bunten, glitzernden Star-Wars– Welten, nie die sterilen Star-Trek-Welten, nie die Welten, die sich in Asimov’sche, Clark’sche oder Lem’sche Abstraktionen aufschwingen, nie die Welten, die sich im Dick’schen oder Gibson’schen Dreck wälzen. Auf den ersten Blick, für einen Jungen, sind das überbordende, vor Abenteuer strotzende Bilder. Auf den zweiten Blick wirkte die Zukunft von Perry Rhodan immer ein bisschen muffig auf mich, bieder, weit weg von den großen Entwürfen mit eigenartig zwischen Lächerlichkeit und Pathos holpernden Worten wie „Kosmokrat“, „Jenzeitig“, „Technoklamm“ oder „Kristallprinz von Arkon“. Das liegt aber vielleicht gar nicht an den Heftromanen selbst, sondern an dem, was sie spiegeln sollen, und, ich bin mir nicht sicher, aber nach den Covern und dem, was ich weiß, nach zu urteilen, habe ich den Verdacht, dass Perry Rhodan es nie ganz über das Trauma der Bundesrepublik unter Helmut Kohl hinweg geschafft hat. Das macht die Serie nicht schlecht – nur für mich persönlich uninteressant, außer ich brauche einmal ein Geschichtsbuch.

Enttäuschende Verbesserung

Wenn man es so betrachtet, ist der neue Perry Rhodan-Comic aus dem Cross Cult Verlag gleichzeitig eine Enttäuschung und eine Verbesserung. Eine Enttäuschung, weil die Geschichte mit dem Namen Die Kartografen der Unendlichkeit zumindest im ersten Band keinerlei Bezüge aufweist, die irgendwie nach außen gehen, in dem nichts von dem passiert, was Science-Fiction so gut kann, nämlich aus einer Parallelwelt heraus unsere von außen betrachten. Gleichzeitig ist das natürlich gut für jemanden wie mich, dessen erster richtiger Kontakt mit Perry Rhodan das ist. Die Geschichte ist größtenteils von größeren Handlungssträngen abgeschottet (das Fernraumschiff SOL ist gestrandet und damit erstmal mit sich selbst beschäftigt), die Figuren und Geschichten, vor deren Hintergrund sie sich bewegen, werden nicht als selbstverständlich vorausgesetzt und einigermaßen behutsam eingeführt, sind dabei aber so selbstreferentiell, dass man eine größere Geschichte hinter allem erahnen kann.
Die größte Verbesserung ist allerdings, dass das Cover, überhaupt das ganze Design, die Sprache, endlich mal zeitgemäß sind und nicht in dieser eigenartigen Heftromanzeitblase mit meterdickem Stab drauf vor sich hindümpeln.
Mit anderen Worten: Jemand wusste, was er oder sie tut, und sowas ist ja immer schön. Das große Problem der – auch für Nicht-Fans wie mich – lohnenswerten Comic-Serie wird sein, gleichzeitig neue Leser zu gewinnen und Fans nicht in Aufruhr zu versetzen. Aber vielleicht ist ja gerade auch das Comic eine gute Möglichkeit, das zu erreichen, Comic-Leser sind verwirrende Zeitlinien und massenweise Paralleluniversen ja gewohnt.

Es geht auch anders

Perry Rhodan als deutsches Science-Fiction-Franchise ist jedenfalls einzigartig, man möchte fast sagen: schützenswert wie eine seltene Art in einem von Bauland umgebenen Biotop, und es tut gut zu sehen, dass etwas passiert. Und irgendwie ist allein die Idee herzerwärmend, dass so etwas existiert, ein gigantisches literarisches Universum, das von der Zeit abgekoppelt einfach weiter läuft. Man kann die Größe, die Sperrigkeit, den Muff abschreckend finden – ich tue das auf jeden Fall – gleichzeitig zeigt der Comic aber, dass es auch anders geht.

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